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Beppo: "Terroristen wollen Schrecken verbreiten - wir kämpfen für das Leben"

Teil 2 der Interview-Reihe mit Aktivistinnen "Stimmen aus dem Dannenröder Forst"

Als im November die heiße Räumungsphase im Dannenröder Forst beginnt, wird „Beppo“ immer unruhiger – bis er es schließlich nicht mehr aushält und sich auf den Weg in den „Danni“ macht. Anfang der vergangenen Woche erlebt der 26-jährige Student der Umweltwissenschaften als einer der letzten Waldbesetzer in einem der letzten Baumhäuser das Ende der Räumungsarbeiten hautnah mit. Im Interview räumt er mit dem Vorurteil auf, dass Waldschützer „Verbrecher“ seien und erklärt, welche Erniedrigungen er in der Gefangenensammelstelle erlebt hat, warum das Engagement für Klimagerechtigkeit kein Kampf gegen eine bestimmte Gruppe, sondern für das Leben ist und warum es weder „DIE (gute) Polizei“ noch „DEN (bösen) Aktivisten“ gibt.

Pro Wald: Beppo, erst am vorvergangenen Montagmorgen (7. Dezember) hat die Polizei Dein Baumhaus im „Oben“ als eines der letzten Baumhäuser im Danni geräumt. Wie hast Du den Polizeieinsatz erlebt?

Beppo: Die Räumung war für uns alle ziemlich stressig. Tagelang war unklar, wie lange es noch dauern würde. Wir hatten Angst umeinander und haben Abschied von alten Bäumen und Baumhäusern genommen. Montagmorgen um 6 Uhr war es dann soweit. Wir wurden oben in den Baumhäusern von Polizist:innen aus dem Schlaf gerissen, als diese die Menschen am Boden ohne Vorwarnung brutal behandelt haben. In den Tagen zuvor gab es aber auch sehr schöne, ruhige Momente auf dem Baumhaus. Ich fand es faszinierend, mit welcher Energie die Menschen nachts weiter an Strukturen gebaut haben. Abends gab es Lagerfeuer und wir haben die Lebensmittel aus schon zerstörten Baumhäusern gerettet und gegrillt.

Pro Wald: Inwiefern haben Polizist:innen Menschen am Boden ‚brutal behandelt‘?

Beppo: Ich habe gesehen, wie ältere Menschen lange zu Boden gedrückt wurden und Sanitäter nicht zu ihnen durchgelassen wurden. Meine Freund:innen, die zu dem Zeitpunkt unten waren, haben später berichtet, wie Menschen ungesichert von Bäumen heruntergezogen und geschlagen wurden. Normalerweise versucht die Polizei so etwas durch vorherige Ansagen und Verwarnungen zu legitimieren. Was ich erlebt habe, war aber eher ein Überfall – es wirkte absolut unprofessionell.

Pro Wald: Wie lief die Räumung konkret ab?

Beppo: Es wurden meist erst kleinere Bäume gefällt, um Platz für die großen Hebebühnen zu machen. Dann kamen Klettercops in die Baumhäuser und Strukturen und haben uns gegen unseren Willen aus den Bäumen "gerettet", wie sie es immer nennen. Das alles hat insgesamt mehrere Tage gedauert.

Pro Wald: Ein Kameramann gibt an, er sei am Montagmorgen auf den Boden gedrückt und ins Gesicht getreten worden, obwohl er mehrfach „Presse“ und „Ich habe einen Presseausweis“ geschrien habe. Hast Du das gesehen?

Beppo: Nein nicht direkt, ich habe aber auch davon gehört. Ein solch aggressives Verhalten der Polizei gegen Waldbesetzer habe ich leider regelmäßig beobachten müssen, allerdings nicht gegen die Presse.

Pro Wald: Ich kann mir aus Deinen bisherigen Schilderungen noch nicht ganz vorstellen, wie der Räumungs-Einsatz abgelaufen ist. Kannst Du bitte den Ablauf schildern?

Beppo: Ich fange mal der Reihe nach an: Seit Mittwoch, 2. Dezember, hat sich die Polizei tagsüber im Bereich des letzten „Barrios“, der Baumhaussiedlung „Oben“, aufgehalten und zunächst die Menschen, die kleinere Bäume besetzt hatten, geräumt. Diese Bäume wurden dann gefällt, unmittelbar danach oder bisweilen auch parallel waren die ersten Baumhäuser an der Reihe. Am Samstag hat die Polizei ein paar Barrikaden geräumt und offenbar mit Schneebällen werfende Aktivisti von „Ende Gelände“ mit dem Wasserwerfer bekämpft. Nikolaus-Sonntag war es relativ ruhig, da waren zu viele Unterstützer:innen bei den „Waldspaziergängen“ sowie Presse im Dannenröder Wald, um konsequent räumen zu können. An den Abenden konnten wir bis dahin immer von den Baumhäusern klettern, uns versorgen und neue Barrikaden oder Strukturen bauen. Montagvormittag wurde ich dann mit der Hebebühne aus dem Baumhaus geräumt und zur Identitätsfeststellung mitgenommen. Ein Mensch hatte sich im Baumhaus festgekettet, was die Räumung sehr verlangsamt hat. Bis Montagabend kamen auch jeden Abend und jeden Morgen neue Menschen, um die übrig gebliebenen Bäume zu besetzen. Montagnacht wurde „Oben“ dann eingezäunt und bewacht, sodass niemand mehr rein- und rauskam. Als ich Dienstagmorgen wieder in den Wald gegangen bin, waren noch die letzten fünf Baumhäuser besetzt. Kurz danach wurden auch dort die verbliebenen Aktivisti herausgeholt.

Pro Wald: Wie hast Du es erlebt, als Polizisten Dich aus dem Bauhaus geholt haben?

Beppo: Ich habe mich nicht gewehrt, aber auch nicht aktiv mitgeholfen. Ich lag im „Keller“ des Baumhauses, einem engen Zwischenraum, den die Polizei zunächst gar nicht entdeckt hatte. Dann kam ein Polizist zu mir herein und erklärte mir, er würde mich jetzt herausholen. Wenn ich mich wehren würde, setze er Pfefferspray ein – damit hätte er jedoch nicht nur mich, sondern auch sich selbst voll erwischt. Er hat dann meinen Rucksack mit Privateigentum aus etwa 20 Metern Höhe auf den Waldboden geworfen, wovon er nachher nichts mehr wissen wollte. Abgesehen davon war der Ton relativ normal. Dann wurde mit der Kettensäge von oben ein Loch in den Baumhausboden gesägt, um ein Seil durchzuführen, an dem sich der Polizist sichern konnte, ehe der mich rauszog. Das war etwas gruselig.

Pro Wald: Hätte das Baumhaus einstürzen und Ihr in die Tiefe stürzen können, als dort ein Loch hineingesägt wurde?

Beppo:
Die anderen im Baumhaus verbliebenen Aktivisti und ich waren ungesichert, also im Prinzip schon. Damit das ganze Haus eingestürzt wäre, hätten die aber deutlich mehr sägen müssen und dabei ihr eigenes Leben gefährdet. Es war nur ein relativ kleines Loch, und tragende Balken wurden zum Glück nicht beschädigt. Trotzdem hätte ich mir gewünscht, dass sie sich die Konstruktion vor dem Kettensägen-Einsatz etwas genauer angeschaut hätten.

Pro Wald: Was geschah dann?

Beppo: Anschließend wurde mir ein Gurt angezogen, an dem ich in die Hebebühne geschleift wurde. Dort erwarteten mich drei Polizisten, und ich musste mich auf den Boden knien. Ich habe mich dabei nicht in akuter Gefahr gefühlt, einige meiner Freunde wurden deutlich riskanter geräumt.

Pro Wald: Wie wurden Deine Freunde geräumt?

Beppo: Ein Mensch musste mit einem im Lock-on festgeketteten Arm von der Baumhausplattform in die Hebebühne. Eine andere Freundin von mir wurde, als die Hebebühne unten war und sie nicht freiwillig laufen wollte, von Polizisten aus dem Korb geschleudert, wobei sie sich am Kopf verletzt hat. Ein weiterer Mensch wurde von der Polizei gefragt, ob es ihr gut ginge. Als sie sagte, dass ihr der Hals von einem Schmerzgriff weh tue, haben Polizisten versucht, ihr daraus Widerstand und so etwas wie Verleumdung zu konstruieren.

Pro Wald: Was ist ein „Lock-on“?

Beppo: Das ist eine mehr als 100 Kilogramm schwere Konstruktion aus Metall und Beton, an die man sich anketten kann. Die Polizei muss den Menschen daran dann freischneiden, was die Räumung deutlich aufwendiger macht. Da kommt extra eine technische Einheit, die flexen und bohren muss. So eine Räumung soll ja immer möglichst lange dauern und möglichst viel Geld kosten, damit der Staat sich solche Projekte in Zukunft besser überlegt.

Pro Wald: Wie viele Aktivist:innen waren in Deinem Baumhaus?

Beppo: Als die Cops zum Räumen kamen, waren wir noch zu viert oder fünft. Davor waren wir etwa zehn. Einige von uns sind dann in die Baumkrone oder in die Walkways und Traversen geklettert, gesichert um die Äste oder an Seilen, die vorher befestigt wurden.

Pro Wald: Wie habt Ihr Euch auf die bevorstehende Räumung vorbereitet und festgelegt, wer dann welche Aufgabe übernimmt?

Beppo: Wer wo ist, hat jeder Mensch selbst festgelegt, so wie wir uns gefühlt haben. Der Mensch im Lock-on hatte sich in den Tagen davor schon gut darauf vorbereitet. Ich war zu ihrer Unterstützung dabei und habe auch Respekt vor der Höhe, deshalb war es mir ganz recht, bei der Räumung im Baumhaus zu bleiben und nicht auf den Bäumen herumzuklettern. Andere waren motiviert, es den Cops beim Klettern etwas schwerer zu machen und sind die Äste hoch. Das Schwierigste war, einen Überblick über das Material zu behalten: Sämtliches Klettermaterial, was bei der Räumung noch im Baumhaus ist, wird zerstört oder beschlagnahmt. Da wäre es nicht unbedingt klug, zehn voll ausgestattete Gurte auf einmal zu verlieren.

Pro Wald: Das Thema Gewalt hat bei den Protesten um den Dannenröder Forst eine sehr große Rolle gespielt: In den Pressemitteilungen der Polizei ist immer wieder die Rede von Angriffen auf Einsatzkräfte mit Pyrotechnik, mit Kot oder auch Schneebällen, Baumaschinen seien angezündet, Rettungswege blockiert, Barrikaden errichtet und Beamte beleidigt worden. In den allermeisten Medien finden sich diese Darstellungen der Polizeipressestellen 1:1 wieder, die Sichtweise der Aktivisten dagegen fehlt nahezu komplett. Wir beurteilst Du die Art und Weise, wie Gewalt von Aktivist:innen gegen Polizeibeamte ausgeübt wurde?

Beppo: Dass Polizeipresseberichte in fast allen Medien 1:1 übernommen wurden, ist ein absolutes No-Go, das leider viel zu oft passiert. Eigentlich sollten Medien ja eine unabhängige vierte Gewalt sein. Grundsätzlich habe ich die Aktivisti im Danni in den drei Wochen, die ich da war, als auffallend friedlich kennengelernt. In Frankreich oder Spanien laufen solche Sachen auf beiden Seiten meist deutlich militanter ab. Ich kann mich ja mal auf das dünne Eis wagen und diese angebliche "Gewalt" aus meiner Perspektive schildern: Eine Barrikade ist an für sich noch keine Gewalt, sondern erstmal ein Hindernis für Räumfahrzeuge. Ich habe ein- oder zweimal einen Böller gehört, der aber nicht gezielt auf Polizist:innen geworfen wurde. An Silvester lassen wir betrunkene, ungepanzerte Menschen mit den Dingern aufeinander los und nennen es Party. In jedem Fußballstadion brennt irgendwann mal ein Bengalo, die auch nicht viel Schaden anrichten. Wenn bei uns so etwas vorkommt, macht es uns in den Augen der Bildzeitung und ihren Leser:innen dann aber sofort zu Terroristen. Auf jedem Schulhof fliegen Schneebälle. Das ist sicherlich eine Provokation, aber es ist keine Gewalt. Einen Wasserwerfer bei Temperaturen um die null Grad einzusetzen hingegen schon. Zum Thema Kot: Ich weiß nicht, ob das jemals gezielt geworfen wurde, kann es mir aber im Danni schwer vorstellen: Die meisten Baumhäuser haben einen Eimer als Toilette. Wenn der mal nicht richtig gelehrt werden kann, zum Beispiel weil das Barrio seit früh morgens von Polizei umstellt ist, könnte es sein, dass der mal nach einer Vorwarnung nach unten ausgeleert wird. Ich kann mir gut vorstellen, wie daraus dann solche Geschichten konstruiert werden. Von angezündeten Baumaschinen habe ich gar nichts mitbekommen.

Pro Wald: Und verbale Gewalt?

Beppo: Verbale Gewalt gegenüber der Polizei war sicherlich zu spüren. In meinen Augen ist das aber auch sehr nachvollziehbar angesichts dessen, was die Menschen dort durchmachen mussten. Und umgekehrt gab es die auf jeden Fall auch.

Pro Wald: Du hast den Begriff "Terrorist" schon genannt, der auch in sozialen Medien immer wieder in Bezug auf Aktivisten im Danni verwendet wird. Du fühlst Dich also nicht als „Verbrecher“ oder gar „Terrorist“?

Beppo: Nein, auf gar keinen Fall! Ich fühle mich als links-grün-radikal, wenn man so will. Leider verwenden viele die Begriffe radikal, extremistisch und terroristisch synonym. Radikal sein heißt, nicht nur innerhalb des bestehenden Systems nach Lösungen zu suchen, sondern das System von der Wurzel her ändern zu wollen. Die ökologische Krise ist größer als die meisten Menschen es sich eingestehen können und wollen. Wenn wir unsere Gesellschaft wirklich innerhalb weniger Jahrzehnte grundlegend umbauen wollen bzw. müssen, dann geht das nur mit einer gewissen Radikalität. Terroristen haben ja das Ziel, Angst zu stiften und Schrecken zu verbreiten. Das liegt mir völlig fern.

Pro Wald: Inwieweit ist Gewalt, etwa gegen Polizeibeamte oder auch gegen Gegenstände gerechtfertigt, um das "System von der Wurzel an zu ändern"?

Beppo: Ich bin kein Pazifist. Gewalt gegen Menschen kann aber immer nur das allerletzte Mittel sein. Im Kampf für Klimagerechtigkeit wird sie uns aktuell nicht weiterbringen, schließlich kämpfen wir ja nicht gegen eine bestimmte Gruppe von Menschen, sondern für das Leben. Bei vielen sozialen Bewegungen war es ja so, dass sich irgendwann militante Flügel gebildet haben, die auch vor Gewalt nicht zurückgeschreckt haben. In manchen Fällen war das der Sache vielleicht langfristig dienlich, natürlich in Kombination mit einem breiten gewaltfreien Protest. Ich denke da jetzt an die Black Panther oder Nelson Mandelas sogenannte terroristische Organisation. Ob das bei uns irgendwann nötig wird, wird sich zeigen. Ich hoffe aber, wir kriegen das ohne hin. Mit Sabotageaktionen wie anzünden von Harvestern würden wir uns ohnehin nur ins eigene Fleisch schneiden, weil wir ganz viel Rückhalt in der Gesellschaft verlieren würden. Und bei dieser Frage nach "Gewalt gegen Gegenstände" fällt viel zu oft herunter, dass auch den Bäumen Gewalt angetan wurde. Und das sind sogar Lebewesen.

Pro Wald: Kannst Du Dir vorstellen, dass sich ein kleiner Teil der Waldschutzbewegung radikalisiert - also einen ähnlichen Weg geht wie eine kleine Minderheit der 68er-Studentenbewegung, aus der die RAF hervorgegangen ist?

Beppo: Ich hoffe nicht und bin überzeugt davon, dass die Umweltbewegung ein gewaltfreieres Selbstverständnis hat als der linksradikale Teil der 68er-Bewegung und dass es deshalb nicht soweit kommen wird. So etwas wie die RAF brauchen wir nicht nochmal. Radikalisierung hin zu Gewalt ist ja oft ein Zeichen von Verzweiflung, wenn die Position, für die man kämpft, nicht ernst genommen oder Aktivisti kriminalisiert werden. Oft ist das eine Antwort auf staatliche Gewalt und Repression. Momentan sind wir in Deutschland ja zum Glück noch nicht an dem Punkt, wo auf ungehorsam Demonstrierende geschossen wird, wie das in anderen Ländern der Fall ist und auch in Deutschland 1967 der Fall war.

Pro Wald: „Momentan“ heißt, dass Du nicht ausschließen kannst, dass dies passieren könnte - wäre es nicht sinnvoller, auf über den zivilen Ungehorsam hinausgehende Gewalt kategorisch zu verzichten – und diese nicht davon abhängig zu machen, wie stark die Gegenseite Gewalt ausübt? Dies würde die Gegenseite ins Unrecht setzen. Sieh Dir gerade das Beispiel Mandela und die ANC-Bewegung an: Sie wurden erst dann wirklich stark, als sie der Gewalt abgeschworen haben. Solange sie noch Gewalt ausgeübt haben, haben sie dem Apartheidsstaat immer wieder Gründe geliefert, selbst Gewalt einzusetzen. Will sagen: Wir befinden uns in einer Gewaltspirale, wenn eine Seite einen immer höheren Gewalteinsatz für legitim hält, weil sie auf die andere Seite reagieren müsse. Was denkst Du darüber?

Beppo: Prinzipiell stimme ich Dir zu: Irgendwer muss die Gewaltspirale unterbrechen. Aber um beim historischen Beispiel zu bleiben: Der Apartheidsstaat brauchte keinen militanten ANC, um Gewalt gegen die nicht-weiße Bevölkerung zu legitimieren. Das wurde Jahrzehntelang einfach so gemacht. Gleichzeitig kann man fragen, wo die Bewegung jetzt stünde, wenn Nelson Mandela nicht als Terrorist verurteilt und damit zum Symbol der Bewegung geworden wäre. Vielleicht hätte er sich dann bis an sein Lebensende weiter als Anwalt für die Rechte von Schwarzen im Apartheidsregime einsetzen und damit gegen Windmühlen gekämpft. Solche Vergleiche sind natürlich immer schwierig und ich sehe die Klimagerechtigkeitsbewegung nicht in der Tradition der Anti-Apartheidsbewegung. Aber es lohnt sich trotzdem immer, in der Geschichte auf erfolgreiche Bewegungen zu schauen und zu versuchen, daraus zu lernen.

Pro Wald: Du hast den Rückhalt in der Bevölkerung angesprochen, der durch Aktionen wie „Harvester anzünden“ verloren ginge. Besonders die Abseil-Aktionen haben der Waldschutz-Bewegung sehr geschadet, sie sind quasi zum Synonym für den Danni-Schutz geworden, der ja nur von „Autobahn-Abseilern“ und deren Befürwortern gewollt sei.   Wie ist Deine Meinung zu solchen Aktionen, insbesondere auch in Bezug auf die öffentliche Wahrnehmung?

Beppo: Leider wurde die Abseilaktion in den Medien so dargestellt als wäre der schwere Auffahrunfall eine direkte Folge der Aktion gewesen, und damit wir schuldig an der Verletzung des Fahrers, der mit hoher Geschwindigkeit auf das Stauende aufgefahren ist. So tragisch das natürlich ist: Einen Stau zu bemerken und zu bremsen liegt in der Verantwortung der Autofahrer:innen. Wenn irgendwo eine Baustelle ist und jemand fährt auf das Stauende, sind ja auch nicht die Bauarbeiter:innen oder Auftraggeber:innen Schuld. Die an der Autobahnaktion beteiligten Menschen waren außerdem so hoch über der A3, dass sie den Verkehr nicht direkt blockiert haben. Da finde ich es unfair, einen direkten Zusammenhang herzustellen. Grundsätzlich halte ich Autobahnbrücken für einen guten Ort, um Verkehrswende-Botschaften zu platzieren.

Pro Wald: Meine persönliche Meinung: Da machst Du es Dir zu einfach. Klar hat der Autofahrer, der auf ein Stauende auffährt, eine Mitschuld, aber zumindest ein Teil der Verantwortung tragen die Stau-Verursacher:innen. In der Öffentlichen Bewertung war dies ein Wendepunkt, die Aktivist:innen haben massiv an Rückhalt in der Bevölkerung verloren. Hätten Ihr diesen Punkt - wie werden unsere Aktionen von außen wahrgenommen und welche Folgen können sie haben - nicht stärker berücksichtigen müssen?

Beppo: Die Schuldfrage finde ich moralisch gesehen in diesem Fall echt gar nicht so leicht. Ich war zu dem Zeitpunkt noch gar nicht im Wald und habe von den Überlegungen nichts mitbekommen. Dass sich bei der Aktion ein Mensch schwer verletzt, hat wahrscheinlich niemand erwartet, geschweige denn in Kauf genommen. Rückblickend war die Außenwirkung natürlich schlecht, nur weiß man ja vor einer Aktion nicht immer genau, welcher Ausgang und welche Bilder dabei entstehen. Wäre mal interessant zu wissen wie die Außenwirkung gewesen wäre, wenn alles gut gegangen wäre. Es ist auf jeden Fall wichtig, diesen Punkt immer mitzudenken. Gleichzeitig zielt ziviler Widerstand ja auch genau darauf ab, die Grenzen des Denkbaren zu verschieben und eben nicht nur das zu machen was breiten Rückhalt in der Gesellschaft findet.

Pro Wald: Echt? Ohne das Ziel, Rückhalt in der Bevölkerung für sein Anliegen zu bekommen, ist ziviler Widerstand doch bloß ein Akt, das eigene Gewissen zu beruhigen nach dem Motto: „Ich habe wenigstens gezeigt, dass ich dagegen bin, mehr kann ich nicht tun!“ Muss ziviler Widerstand nicht bestrebt sein, die Gesellschaft mitnehmen und aufrütteln, sodass das eigentliche Anliegen, nämlich in diesem Fall der Erhalt des gesunden Dannenröder Mischwaldes, erreicht wird – wenn politische Entscheidungsträger nämlich nicht mehr gegen den Willen ihrer Wähler entscheiden können?

Beppo: Aufrütteln auf jeden Fall. Aber wir können nicht den Anspruch haben, alle da abzuholen wo sie gerade sind. Dazu müssten wir uns zu 100 Prozent im Rahmen der Gesetze bewegen. Diese zu brechen ist für viele erstmal unerhört. Ziviler Widerstand funktioniert aber nicht ohne entsprechende Bindeglieder zum bürgerlichen Teil der Gesellschaft. Fridays for Future ist für die Umweltbewegung unfassbar wichtig. Anfangs wurde ja noch ernsthaft die Frage diskutiert, ob einmal pro Woche Schule schwänzen für den Klimaschutz wirklich ok sei oder doch nicht eigentlich viel zu weit gehe. Jetzt habe ich das Gefühl, dass es viele Leute normal finden und FFF einen breiten Rückhalt hat. Wenn solche Bündnisse sich dann mit Besetzungen wie dem Danni solidarisieren entstehen Synergien zwischen verschiedenen Protestformen, und mehr Leute werden mitgenommen.

Pro Wald: Um nochmal auf das Thema Provokationen zurückzukommen: Hältst Du es im Rückblick für sinnvoll von den Aktivist:innen, die Polizeieinsatzkräfte im Dannenröder Forst zu provozieren – etwa mit Sprechchören wie „Haut ab“, „Ihr seid nur gutbezahlte Hooligans“, Verpisst Euch“ usw.? Die Polizisten – viele davon nicht wesentlich älter das die Aktivisten – haben schließlich nur ihren Job gemacht. Hätte die Gewalt nicht durch eine größere Wertschätzung auf beiden Seiten minimiert werden können?

Beppo: Ja, manche Sprechchöre fand ich auch etwas heftig. Die Polizei direkt morgens mit Hassparolen zu begrüßen, muss nicht sein. Ich habe aber auch emotional nie so tief in der Sache gesteckt wie manche andere, die dort ein Jahr gelebt haben. Es fällt manchen scheinbar schwer zu glauben, aber Menschen, die auf irgendeine Weise stigmatisiert werden, können in Deutschland wirklich sehr schlechte Erfahrungen mit der Polizei machen. Ich habe das später im der Gefangenensammelstelle selbst erleben müssen, weil die Polizei fälschlicherweise einen Linksextremisten in mir zu erkennen glaubte. Wenn diese Wut in den Parolen in dem Moment wirklich gefühlt wird, finde ich es ok, sie auch herauszuschreien. Das ist menschlich. Abgesehen davon haben aber eben nicht alle Polizist:innen "nur ihren Job gemacht". Es gab schon einige, die offen gegen uns waren. Auch wir mussten uns Beleidigungen von der Polizei anhören.

Pro Wald: Was genau?

Beppo: Zum Beispiel sexistische Sprüche. Als Mann hatte ich persönlich damit eher weniger Probleme. Weiblich gelesene Menschen haben aber berichtet, wie sie von Polizisten für ihren "geilen Arsch" gelobt wurden, als sie vom Baum pinkeln mussten. Außerdem gab es jede Menge Vandalismus an den Bodenstrukturen.

Pro Wald: Inwiefern?

Beppo: Oft wurde lange vor der eigentlichen Räumung alles zerstört, was vom Boden aus zu erreichen war. Da liefen dann Leute von der BFE [Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit, Anm. d. V.] ohne große Ansagen ins Barrio und haben zum Beispiel Kletterseile abgeschnitten, was übrigens lebensgefährlich sein kann, wenn man es von oben nicht merkt. Da würde ich nicht sagen, dass das zum Job als Polizist:in gehört.


Pro Wald: Seitens der Aktivist:innen im Wald gab es immer wieder Hinweise auf Übergriffe der Polizei. Was hast Du davon selbst mitbekommen?

Beppo: Ich habe es selbst erlebt. Nach der Räumung des Baumhauses wurde ich in die Gesa [Gefangenensammelstelle, Anm. d. Verf.] Frankfurt gebracht und dort bei der Identitätsfeststellung sehr übergriffig behandelt. Offenbar findet es die Polizei verhältnismäßig, Menschen, denen sie eine Ordnungswidrigkeit vorwirft – was die gleiche Kategorie wie etwa Falschparken ist – zu zwingen, sich komplett nackt in der Zelle bei offener Tür auszuziehen. Als ich dagegen Widerspruch eingelegt habe, hatte ich plötzlich ein Knie im Rücken wurde an die Zellenwand gedrückt, von einem anderen an den Haaren gezogen, und ein dritter hat versucht, mir die Klamotten vom Leib zu reißen. Das scheint ganz normal zu sein, meine lauten Rufe und Proteste wurden von allen anderen auf der Wache ignoriert. Ich will mir gar nicht vorstellen, was mit Verdächtigen bei wirklichen Straftaten hinter verschlossenen Türen alles passiert.

Pro Wald: Deinen Namen wolltest Du vermutlich nicht sagen, Deinen Perso hattest Du nicht dabei, und Deine Fingerkuppen waren lackiert, sodass keine Fingerabdrücke genommen werden konnten, oder?

Beppo: Richtig.

Pro Wald: Kann es da erkennungsdienstlich sinnvoll und zu rechtfertigen sein, dass Du Dich entkleiden solltest – etwa, indem Du anhand einer Tätowierung identifizierbar würdest? Wurde Dir gesagt, warum Du Dich entkleiden sollst, oder musstest Du den Eindruck haben, es handele sich um eine Strafmaßnahme?

Beppo: Die Strafprozessordnung lässt da Spielraum. Da steht dann sowas wie "Feststellung auffälliger äußerlicher Merkmale, die der Wiedererkennung dienen, wie zum Beispiel Tattoos und Narben". Außerdem dürfen sie Fotos machen und Fingerabdrücke nehmen. Bei allem darüber hinaus gilt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Ich habe die Polizist:innen gefragt, was sie vermuten, bei mir zu finden, nachdem sie ja schon mehrmals meine Taschen und Schuhe durchsucht hatten. Oft behaupten sie dann, man könne ja Rasierklingen irgendwo verstecken, mit denen man ihnen oder sich selbst in der Zelle etwas antun könnte. Ziemlich an den Haaren herbeigezogen bei jemandem, der wegen einer Ordnungswidrigkeit mitgenommen wurde, finde ich. Als ich nach der ersten Prügelsession angeboten habe, mich selbst auszuziehen, hieß es: "Dafür ist es jetzt zu spät.“ Also klares ja, das war eine Strafmaßnahme.

Pro Wald: Prügelsession?

Beppo: Wie würdest Du es nennen, wenn drei Polzisten Dich an die Wand schmeißen, Dir ein Knie in den Rücken drücken und Dich an den Haaren ziehen? Von mir aus können wir es auch „Zwangsmaßnahme“ nennen.

Pro Wald: Ich sehe das durchaus aus eine Form der körperlichen Misshandlung. Wenn Du kein Einzelfall bis und viele Aktivist:innen diese Erfahrung gemacht haben: Kann das der Grund für die bereits angesprochenen Feindseligkeiten der Aktivisten gegen die Polizei und die Schmähgesänge sein?

Beppo: Ganz bestimmt tragen solche unmittelbaren Gewalterfahrungen zu einem feindlichen Klima bei.

Pro Wald: Was wurde Dir konkret vorgeworfen, nachdem Du aus dem Baumhaus geholt wurdest? Du sprachst nicht von Straftaten, sondern lediglich von Ordnungswidrigkeiten – in welchem Strafmaß- bzw. Ordnungsgeldrahmen bewegen wir uns da?

Beppo: Da haben wir einmal einen Verstoß gegen das hessische Waldschutzgesetz und gegen irgendeine Allgemeinverfügung des Vogelsbergkreises, also eine Ordnungswidrigkeit, worauf es ein Bußgeld von etwa 100 Euro gibt. Personalien-Verweigerung ist eine weitere Ordnungswidrigkeit, da kenne ich das Bußgeld nicht. Platzverweis hatte ich zu dem Zeitpunkt keinen, aber den zu ignorieren hätte auch etwa 100 Euro gekostet. Das ist alles.

Pro Wald: Hast Du schließlich Deine Personalien angegeben?

Beppo: Nein, die habe ich nicht angegeben, und die haben sie auch nicht herausgefunden. Darum ist es mir wichtig, dass ich durch dieses Interview nicht erkennbar werde. Beppo ist auch nicht mein richtiger Name. Im Danni haben wir alle Waldnamen.

Pro Wald: Bevor Du ins Barrio kamst, hatten sich bereits mehrere schwere Vorfälle bei Räumungsaktionen ereignet, bei denen Aktivist:innen zum Teil schwer verletzt wurden. Zwei stürzten etwa mehrere Meter in die Tiefe, nachdem Polizist:innen Sicherheitsseile durchtrennt haben, eine davon erlitt dabei mehrere Wirbelbrüche. Was denkst Du darüber - können das Unfälle gewesen sein?

Beppo: Das frage ich mich schon seit Wochen. Ich finde es immer noch schwer, mir vorzustellen, dass das geplante Körperverletzung oder gar versuchter Mord war. Dann wäre mein Vertrauen in den Rechtsstaat endgültig zerbrochen. Eigentlich waren aber Sicherungsseile gut markiert und Menschen haben laut darauf aufmerksam gemacht. Würde mich mal interessieren, wie die Ermittlungen der Polizei da so vorankommen. Aber gegen Kolleg:innen zu ermitteln, ist ja immer schwierig. Grob fahrlässig war es aber auf jeden Fall, und es schockt mich, was diesen Menschen widerfahren musste, nur weil sie sich für den Danni eingesetzt haben.

Pro Wald: Wie hätten die Einsätze Deiner Meinung nach ablaufen müssen, um verhältnismäßig zu sein. Welche Art von Polizeigewalt wäre angemessen gewesen?

Beppo: Puh schwierig. Da sie den Wald ja scheinbar unbedingt räumen wollten, war ein Konflikt ja irgendwie vorprogrammiert. Aber Sicherheit muss bei so etwas höchste Priorität haben. Wasserwerfer sind bei Temperaturen um den Gefrierpunkt eigentlich tabu, genauso wie Seile auf gut Glück durchzuschneiden. Aber man muss fairerweise auch sagen, dass nicht jede Räumung gewalttätig war. Manchmal wurden Menschen auch tatsächlich einfach sicher und ohne Schmerzgriffe zu Boden gebracht. Ich frage mich, warum es nicht immer so war.

Pro Wald: Waren die Übergriffe Deiner Einschätzung nach eher einzelne Verfehlungen überforderter Poilzeibeamt:innen oder waren sie systemimmanent?

Beppo: Irgendwie beides. Ich glaube schon, dass die Mehrheit der Polizist:innen keine Sadisten sind, die ihre Machtposition nutzen, um Gewalt auszuleben. Gleichzeitig haben wir da ein System, das bereit ist, jede Menge Fehltritte von Kolleg:innen zu decken, wegzuschauen, solche Leute zu integrieren und zum Teil auch bewusst einzusetzen. Dass Hamburg [G20-Gipfel am 7. und 8. Juli 2017, Anm. d. V.]damals so eskaliert ist, war ja kein Zufall. Die Polizei hatte da einfach Bock drauf, und dass es ein über „Einzelfälle“ hinausgehendes Problem mit Rechtsextremismus und Rassismus innerhalb der Polizei gibt, hat sich seitdem ja immer wieder recht deutlich gezeigt.

Pro Wald: Gibt es Dir von Dir bei der Polizei kritisierte Gruppen-Solidarität, die dazu führt, dass das Fehlverhalten Einzelner geckt wird, nicht genauso auch auf der Seite der Aktivist:innen? Dass einige über die Stränge schlagen – etwa mit den von Dir angesprochenen Hassparolen gegen Polizist:innen - , und der Rest das zwar kritisch sieht, aber dieses Verhalten dennoch schweigend hinnimmt?

Beppo: Ich würde nicht per se sagen, dass verbale Gewalt gegenüber der Polizei unangemessen ist. Persönlich fand ich manche Parolen zwar unnötig, aber ich musste auch nicht erleben wie mein Zuhause zerstört wird und habe also zumindest Verständnis dafür. Und ich unterscheide hier ganz klar zwischen verbaler und physischer Gewalt. Die Polizei ist in einer Machtposition, da sie ein Gewaltmonopol hat und Recht und Ordnung repräsentiert. Dieser Übermacht steht allein unsere Solidarität gegenüber. Als Individuum kann man gegen die Macht des Staates nichts ausrichten. Da ist es wichtig, dass wir uns nicht gleich bei der ersten Meinungsverschiedenheit spalten, wie es ja leider viel zu oft vorkommt in sozialen Bewegungen. Für die Polizei brauchen wir dringend eine unabhängige Kontrollinstanz die Grenzüberschreitungen und Machtmissbrauch aufarbeitet.

Pro Wald: Die verbale Gewalt in Form etwa von Hassparolen war ja nur ein Beispiel, es gibt auch Vorwürfe gegen Aktivist:innen wie schwere Sachbeschädigung, versuchte Körperverletzung bis hin zur versuchten Tötung eines Polizisten. Gibt es keine abgesprochene Grenze, wie weit Gewalt gehen darf, wo ziviler Ungehorsam aufhört und wo nicht nur die rechtlichen, sondern auch die ethischen Grenzen überschritten werden? Wäre etwa ein Verhaltenskodex, auf den sich die Aktivisten und die Umweltbewegung gemeinsam verständigen, ein sinnvolles Mittel?

Beppo: Ich glaube schon, dass sowas wie ein impliziter Verhaltenskodex existiert. Gewaltfreier Widerstand ist für die meisten von uns selbstverständlich. Wenn doch einmal Grenzen überschritten werden, sorgt das intern für Diskussionen. Und soweit ich weiß, laufen die Ermittlungen wegen versuchter Tötung auch noch. Es wurde also noch keine Schuld oder Absicht bewiesen, das sollten wir nicht vergessen. Wir sind nun einmal alle selbst für unser Tun verantwortlich, und Freiheit von Hierarchie - wie wir sie im Wald leben - heißt auch, dass niemand sich herausnimmt, anderen vorzuschreiben, was sie tun dürfen. Ich kann mir auch nicht so richtig vorstellen, wie genau so ein verbindlicher Kodex für alle lauten sollte und wie er für die ganze Besetzung oder gar die ganze Klimagerechtigkeitsbewegung legitimiert werden könnte. Die Menschen, die im Wald aktiv sind, wechseln ja auch. In den Barrios und Baumhäusern organisieren sich  Menschen mit ähnlichen Vorstellungen und Themen. Ich habe das Gefühl, dass das abgesehen von einzelnen Fehltritten und Kurzschlussreaktionen eigentlich ganz gut funktioniert.

Pro Wald: Deine Waldbesetzung begann Mitte November, in der letzten, „heißen“ Phase. Was waren Deine Gründe, erst so spät nach Dannenrod zu reisen?

Beppo:
Ich war bis September im Ausland und wusste lange gar nichts vom Danni. Dann war ich erstmal mit Ankommen und anderen Dingen beschäftigt. Als die Räumung im Herri [Herrenwald] losging, wurde ich immer nervöser. Ich habe es dann gerade noch für die letzten drei Wochen im Danni geschafft. Manchmal habe ich ein bisschen bereut, nicht länger im Hambi [Hambacher Forst] gewesen zu sein. Das war jetzt die Gelegenheit, wieder Zeit in einer Waldbesetzung zu verbringen. Abgesehen von dem politischen Hintergrund ist es einfach wunderschön, so viel Zeit draußen zu verbringen, in Bäume zu klettern, Sachen zu bauen und tolle Menschen kennenzulernen. Außerdem kannte ich dort einen Menschen, die schon länger da war und die ich gerne dort wiedersehen wollte.

Pro Wald: Was sagst Du zu den Vorwürfen der Rodungs-Befürworter, dass die Aktivsten ihren Müll im Wald zerstreut und mit Autos angereist seien – also ihren eigenen Forderungen zuwiderhandeln würden?

Beppo: Auch ich bin mit meinem Wohnmobil angereist. Da produziere ich meinen eigenen Strom und fahre ab nächstem Jahr, wenn es gut läuft, CO2 neutral mit altem Frittenfett. Während der drei Wochen war es Rückzugsort für Freunde, die mal kurz eine Heizung brauchten, natürlich möglichst coronakonform. Es hat sich also gelohnt, finde ich. Den Müll hat größtenteils die Polizei produziert, als sie unsere Strukturen zerstört hat. Bei uns war das Umweltbewusstsein groß genug, den nicht einfach in den Wald zu werfen. Und solche Vorwürfe kann man beliebig viele an allen möglichen Dingen finden, ändert aber nichts an der Sache selbst. Wir alle leben mit gewissen Widersprüchlichkeiten. Ein gutes Argument gilt aber auf Papier geschrieben genauso viel wie von einem Menschen vorgebracht. Wälder zu erhalten und gegen Autobahnen zu verteidigen ist so ein Argument. Das gilt einfach unabhängig davon, wer mit welchem Finger auf wen zeigt. Vollkommen nachhaltig zu leben, ist im aktuellen System quasi unmöglich. Man kann im privaten Bereich nur bedingt etwas verändern. Anstatt den perfekten ökologischen Lebensstil anzustreben, sollte man die Energie lieber nutzen, um sich für politische Veränderung einzusetzen.

Pro Wald: Angesichts der Behauptung, die Anwohner seien alle für den Autobahnbau: Wie hast Du den Kontakt mit der heimischen Bevölkerung in Dannenrod erlebt?

Beppo:
Ich  hatte leider nicht viel direkten Kontakt zu Anwohnern in Dannenrod. Ich weiß, das ist das aktivistische Klischee. Manchmal habe ich Menschen aus der Region getroffen, die mit uns protestiert haben. Ich finde es wichtig, die lokale Bevölkerung bei solchen Fragen zu hören. Trotzdem sind Waldsterben, Klimakrise und die vielleicht noch viel größere Biodiversitätskrise ein globales Problem, das uns alle betrifft. Vermutlich kommen die Vorwürfe, wir Aktivisti würden uns nicht mit den lokalen Gegebenheiten auseinandersetzen, von den gleichen Menschen, die uns fragen, warum wir denn nicht ins Amazonasgebiet reisen würden, um dort die Abholzung, die ja viel schlimmer sei, zu verhindern.

Pro Wald: Was hat Dein Umfeld – Deine Freunde und Deine Familie - gesagt, als Du in den Wald gegangen bist?

Beppo: Meine Eltern waren selbst öfters im Danni. Meine Schwester fand es gut, hatte aber auch ein bisschen Sorgen. Vor manchen meiner Freunde musste ich mich ein wenig rechtfertigen, finde es aber auch gut, wenn die kritisch sind. Andere haben mich besucht und sind selbst mit auf die Bäume geklettert.

Pro Wald: Wie lautet Deine Bilanz Deiner drei Danni-Wochen?

Beppo:
Der Wald hatte trotz Räumungssituation noch etwas von einem utopischen Freiraum für mich. Die Menschen waren offen, herzlich, authentisch und inspirierend.  Es tut immer wieder gut zu sehen, dass so viele Menschen angesichts der ökologischen Krise noch nicht den Mut verloren haben. Gerne wäre ich im Sommer da gewesen, als alles ruhiger war, mit mehr Zeit, um sich gegenseitig besser kennenzulernen. Ich bin froh, dagewesen zu sein, den Protest so nah miterlebt zu haben und meinen Teil beigetragen zu haben. Die Zerstörungen machen mich wütend, aber aus dieser Wut werde ich wieder neue Energie schöpfen. Gleichzeitig bin ich dankbar für alle persönlichen Begegnungen.

Pro Wald: Die Schneise im Danni ist geschlagen, aber viele weitere Wälder sind von Abholzung bedroht. Wie wird es nun weitergehen, wirst Du Dich weiter engagieren?

Beppo:
Der Wald ist zwar verloren, aber der Protest in Dannenrod wird weitergehen. Und ja, es gibt noch jede Menge Wälder zu besetzen. Ich finde eine der wichtigsten Lektionen aus dem Danni ist, dass Wälder hierzulande nicht mehr einfach so für rückwärtsgewandte Projekte abgeholzt werden können. Innerhalb von nur einem Jahr haben wir es geschafft, eine stabile Besetzung aufzubauen, die die Abholzung ungleich schwieriger und teurer gemacht hat.

Pro Wald: Erleben wir gerade die Geburt einer neuen Wald- und Klimabewegung?

Beppo: Viele arbeiten an einem Know-how- und Materialtransfer für zukünftige Projekte. Ich denke da wächst gerade eine Besetzungskultur heran, die Vorhaben wie die A49 in Zukunft immer mehr zum Risikoinvestment werden lässt. Ich finde das übrigens nicht undemokratisch, wie Viele behaupten. Eine gesunde Demokratie muss so etwas aushalten und wird dadurch auch belebt. Viele bereits beschlossene Projekte gehören angesichts der Klimakrise noch einmal auf den Prüfstand. Dieser ganze Wahnsinn ist absolut nicht vereinbar mit den Pariser Klimazielen, die ja schließlich auch aus einem demokratischen Prozess hervorgegangen sind. Bei der Neubewertung haben, anders als im Hambi, die Gerichte leider offensichtlich versagt. Also muss es der öffentliche Druck nun so weit zunehmen, dass politische Entscheidungsträger ihre Fehlentscheidungen oder die ihrer Vorgänger zurücknehmen müssen.

Das Interview führte Ingo Fischer.


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