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Leutewitzer Stadtwald (Dresden): Ein unmoralisches Angebot

Steckbrief "Bedrohte Wälder"

Die Einwohner der Dresdner Stadtteile Cotta und Leutewitz lieben ihren verbliebenen, noch rund 13.000 Quadratmeter großen Stadtwald in direkter Nachbarschaft zum Leutewitzer Volkspark. Doch auch dieser soll nun gerodet werden und es geht – wie immer – um viel Geld. Das Erstaunliche dabei: Der Eigentümer und Bauunternehmer, der allein durch die planungsrechtliche Umwandlung der Stadtwaldfläche in Bauland einen Wertzuwachs in Höhe mehrerer Millionen Euro verbuchen könnte, bietet der Stadt ganz offen eine 500.000-Euro-"Spende" dafür an, dass diese seinem Bauvorhaben zustimmt. In Kooperation mit der Bürgerinitiative "Ein Wald für Cottas Klima" stellt Pro Wald den Leutewitzer Stadtwald, das umstrittene Rodungs- und Bauprojekt sowie ungewöhnlich transparente Kungeleien vor.

Wie heißt der bedrohte Wald?

Wald am Leutewitzer Park oder auch Leutewitzer Stadtwald. Die Ortschaft Leutewitz wurde im 10. Jahrhundert von seinem mutmaßlichen, slawischen Namensgeber Lut gegründet und 1071 erstmals urkundlich als Ludiwice erwähnt. Heute ist sie ein Stadtteil von Dresden.

Wo befindet er sich?

Der Wald befindet sich etwa einen Kilometer westlich des Zentrums der sächsischen Landeshauptstadt Dresden, im Stadtteil Leutewitz.

Um was für eine Art Wald handelt es sich?

Es handelt sich um einen natürlich gewachsenen Stadtwald, der seit der Wende auf einer Brachfläche entstanden ist und sich während der vergangenen gut 30 Jahre zu einem gesunden, forstwirtschaftlich nicht genutzten Sukzessionswald entwickelt hat. Im Flächennutzungsplan ist das Gebiet als Wald gekennzeichnet – es soll jedoch jetzt in Bauland umgewandelt werden.

Wie groß ist er?

Der Leutewitzer Stadtwald war rund 16.000 Quadratmeter groß, hat inzwischen jedoch durch vorangegangene Bauvorhaben bereits an Fläche eingebüßt.

Wem gehört der Wald?

Der Wald ist in Privatbesitz und gehört der Firmengruppe des Dresdner Bauunternehmers Uwe Köhn, der diesen vor Jahren zum „Waldpreis“ von rund einem Euro pro Quadratmeter als Außenfläche erworben haben dürfte - der aktuelle Bodenrichtwert liegt bei 1,10 Euro pro Quadratmeter. Im Zuge der vergangenen Bebauung eines Teilstück des Waldes war vereinbart, dass der restliche Stadtwald angesichts der enormen Wertsteigerung der in Bauland umgewandelten Waldfläche der Stadt Dresden und seinen Bürgern überschrieben wird. Dies ist jedoch formal nie umgesetzt worden.

Wie ist sein aktueller Zustand?

Bauprojekte des Eigentümers haben seine Fläche bereits um etwa ein Fünftel reduziert, zudem wurde Bauschutt illegal, entgegen städtischer Auflagen, am Waldrand abgeladen. Es sind leichte Dürreschäden erkennbar, trotzdem ist der Leutewitzer Stadtwald Wasserspender für den angrenzenden Stadtpark.

Was sind seine Besonderheiten?

Der Leutewitzer Stadtwald ist ein wichtiges Naherholungsgebiet für die Dresdner Bevölkerung. Auch für Schüler im Biologie-Unterricht ist er von Bedeutung, da er zeigt, wie Sukzession funktioniert und wie schnell aus dem Nichts ein Wald entsteht, ohne dass dafür etwas getan werden muss.

Warum ist er aktuell bedroht?

Nachdem bereits ein Teil des Waldes gerodet wurde, wollte die Stadt Dresden im Jahr 2018 eine Klarstellungssatzung erwirken, wonach der restliche Wald als Erweiterung des benachbarten Leutewitzer Parks erhalten bleiben soll. Diese wurde zwar beschlossen, jedoch bislang nicht rechtsverbindlich umgesetzt, sodass der Eigentümer nun auch die verbliebenden 13.000 Quadratmeter roden und auf dieser Fläche weitere vier- bis fünfstöckige Wohnimmobilien bauen will. Der Wald würde dann verschwinden.

 Was würden die geplanten Eingriffe für den Wald, die Tiere, die Natur und die Menschen bedeuten?

Der Stadtwald würde für die Dresdner Bürger:innen in den westlichen Stadtteilen Leutewitz und Cotta als Möglichkeit wegfallen, Natur in unmittelbarer Nachbarschaft zu erleben und sich dort zu erholen. Das wäre insbesondere für die Kinder schlimm, die diesen bislang zum Toben und Spielen nutzen. Zudem ist der Stadtwald eine Oase der Biodiversität in Dresden. In den zunehmend heißer werdenden Sommern müssten die Menschen auf den Kühleffekt des Stadtwaldes verzichten bzw. die Stadt würde sich durch weitere Bebauungen und Flächenversiegelungen weiter aufheizen, wodurch die verbleibenden nicht versiegelten Flächen weiter austrocknen würden. Die Luftqualität würde sich verschlechtern und die bereits vorhandenen Dürreschäden würden sich im Baumbestand des benachbarten Leutewitzer Volksparks schneller ausbreiten.

Was sind die Argumente der Befürworter der baulichen Eingriffe?

Die Befürworter argumentieren, dass in Dresden Wohnungsmangel herrscht und dass insbesondere sozialer Wohnungsbau dringend benötigt wird. Von den geplanten 48 Wohneinheiten sollen etwa zehn Sozialwohnungen vorgesehen sein, der Investor spricht dagegen von einem Drittel Sozialwohnungen.

Welche Argumente sprechen dagegen?

Die wenigen neuen Wohnungen an diesem Standort spielen angesichts der Tatsache, dass die Einwohnerzahl Dresdens seit Jahrzehnten schrumpft, mehr als 20.000 Wohnungen leerstehen und dennoch jährlich fast neue 3.000 Wohnungen entstehen eine allenfalls marginale Rolle für den Dresdner Wohnungsmarkt. Der gesellschaftliche Nutzen des Bauvorhaben steht weit hinter dem des gesellschaftlichen und ökologischen Nutzen des Stadtwaldes zurück. So schreibt der Nabu Dresden in einer Stellungnahme vom 15. April dieses Jahres: "Ein städtebauliches Wachstumserfordernis für die Erweiterung von Wohnbaufläche besteht nicht."

Welche Kompromisslösungen gibt es?

In einem Ersetzungsantrag hat sich die Fraktion der Linken, die sich zuvor stets gegen den Wald positioniert hatte, am 12. Mai dafür ausgesprochen, dem Eigentümer anderswo eine gleichwertige Fläche durch einen Flächentausch anzubieten, auf dem dieser sein Bauvorhaben verwirklichen könne. Der Interessenkonflikt zwischen bestehendem Wohnungsbedarf insbesondere auch mit einer hohen Quote an Sozialwohnungen einerseits und dem Erhalt von Grünflächen für die Naherholung und der damit verbunden klimatischen Wirkung andererseits könne am vorgesehenen Standort nicht positiv aufgelöst werden.

Losgelöst von diesem Antrag drängt sich die grundsätzliche städtebauliche Frage auf, warum bei einem solch hohen Wohnungs-Leerstand überhaupt neue Häuser auch an anderer Stelle gebaut und dabei neue Flächen versiegelt werden müssen. Der Flächenfraß und die Intensität der Flächennutzung sind laut Weltbiodiversitätsrat IPBES zusammen zu zwei Dritteln verantwortlich für die gegenwärtige Biodiversitätskrise und das beginnende Massen-Artensterben, von dem eine Millionen Arten bedroht sind. Damit steht der ungebremste Flächenfraß auch bei uns in Deutschland weit vor den nachfolgenden Faktoren für das Artensterben, nämlich invasive Arten an Position drei, Umweltgifte an vier und zuletzt der Klimawandel, dem laut IPBES ein fünfprozentiger Anteil an der Biodiversitätskrise zugemessen wird. Sinnvoller vor diesem Hintergrund wäre es, Neubauten dort zu errichten, wo bereits Bebauung war. Und am sinnvollsten, auch mit Blick auf die Ressourcenschonung ist es jedoch, den vorhandenen, leerstehenden Wohnbestand so zu sanieren und so attraktiv zu gestalten, dass dieser wieder gerne bezogen und genutzt wird.

Wie ist der aktuelle Stand?

Kurz gesagt: Weil das Vorhaben im Falle einer Abstimmung in mehreren Gremiensitzungen vor dem Scheitern stand, wurde es entweder kurzfristig an eine andere Stelle verwiesen oder spontan von der Tagesordnung gestrichen. Das Ziel erscheint klar: Dieses Spielchen soll so lange fortgeführt werden, bis in einem Gremium die erforderliche Mehrheit für die Rodungsarbeiten erzielt werden kann, denn die Zahl der Bau-Befürworter und der Waldschützer hält sich fast die Waage. Wenn bei einer Sitzung ein, zwei Abstimmungsberechtigte fehlen, kann dies entscheidend das Abstimmungsergebnis beeinflussen.

Aber der Reihe nach: Am 25. Februar 2020 reichte der Geschäftsbereich Stadtentwicklung der Stadt Dresden auf Antrag des Bauinvestors Uwe Köhn den vorhabenbezogenen Bebauungsplan Nr. 6048 als Beschlussvorlage für den Stadtentwicklungsausschuss ein.

Nachdem dieser bereits mehrere Gremien durchlaufen hatte, lehnte zunächst der Stadtbezirksbeirat des Stadtteils Cotta am 24. November 2020 den Antrag mit großer Mehrheit ab, jedoch hat diese Ablehnung keine bindende Wirkung, sondern ist als Empfehlung zu verstehen. Auch im Ausschuss für Stadtentwicklung, Bau, Verkehr und Liegenschaften der Stadt Dresden, der ursprünglich entscheidungsbefugt sein sollte, zeichnete sich keine Mehrheit für den Antrag ab, stattdessen wurde der Antrag am 31. März dieses Jahres in den Stadtrat verwiesen. Statt einer Abstimmung über die geänderte Flächennutzung stimmte der Ausschluss lediglich über eine Beschlussempfehlung für den Stadtrat ab – und diese fiel mit hauchdünner Mehrheit gegen die Bebauung aus.

Die normale Folge wäre nun, dass sich der Dresdner Stadtrat zeitnah mit dem Bebauungsplan befasst und diesen gemäß der Empfehlung des Stadtentwicklungsausschluss und des Cottaer Stadtbezirksbeirats ablehnt. Jedoch drückt sich auch das höchste Entscheidungsgremium vor der Abstimmung - bereits zwei Mal wurde diese im letzten Augenblick von der Tagesordnung gestrichen, zunächst am 21. April "auf Wunsch des Investors" (Dresdner Neueste Nachrichten), da zwei Stadträte, darunter Oberbürgermeister Dirk Hilbert, die sich klar für die Rodung des Stadtwaldes positioniert hatten, auf Dienstreise waren. Und nun noch einmal am 12. Mai, als die Ratsmehrheit aus CDU, Linke, AfD, FW und FDP den Vorgang wegen angeblich "offener Rücksprachen mit dem Investor" zurück in den Stadtentwicklungsausschuss verwiesen haben.

Waldschützer sind alarmiert und fürchten, dass der Investor versucht, weiter Einfluss zu nehmen und die knappen Mehrheitsverhältnisse zu seinen Gunsten zu ändern, um sein Bauvorhaben doch noch durchsetzen zu können. Und das nicht ohne Grund: Zuletzt hat Bauinvestor Uwe Köhn dem Stadtrat verblüffend offen eine halbe Millionen Euro in Aussicht gestellt, wenn dieser die Voraussetzung schaffe, dass sein Grund bebaut werden darf  (man stelle sich vor, ein Normalbürger unterbreitete seinem Sachbearbeiter bei der Einreichung seines Bauantrags ein derartiges Angebot). Für Köhn wäre die steuerlich voll absetzbare Spende ein lohnende Investition, denn allein durch die Umwandlung seiner rund 13.000 Quadratmeter großen Waldfläche in Bauland würde sich deren Wert von derzeit rund 15.000 Euro ausgehend von den aktuellen Bodenrichtwerten im Dresdner Bezirk Briesnitz schlagartig auf einen Betrag zwischen 2,6 und 4,5 Millionen Euro vervielfältigen. Indem er das Bauvorhaben anschließend selbst ausführt, würde er den ohnehin astronomischen Gewinn weiter vergolden.

Welche Aktionsbündnisse, Bürgerinitiativen und Umweltverbände engagieren sich für den Erhalt des Waldes?

Bürgerinitiative "Ein Wald für Cottas Klima" Ansprechpartnerin: Sina Burkert (Mail: erweiterungleutewitzerpark@gmail.com)

Nabu Dresden, Kontakt: info@naturbewahrung-dresden.de

Dresdner Aktionsbündnis "Mietenwahnsinn stoppen", Kontakt: dresden@mietenwahnsinn-stoppen.de

Welche Möglichkeiten sehen Sie, die drohenden Rodungen noch zu verhindern?

Wir sehen die einzige Möglichkeit darin, die Öffentlichkeit auch über die Grenzen Dresdens hinaus auf den nebulösen Vorgang aufmerksam zu machen. Je mehr Licht darauf fällt, desto schwieriger ist es, gegen den Willen der Dresdner Bürgerinnen und Bürger den beliebten Stadtwald aus rein kommerziellen Gründen zu zerstören, denn die Wohnungsnot ist ganz offensichtlich vorgeschoben. Sollte der Stadtrat oder der Stadtentwicklungsausschuss der Bebauung zustimmen, wäre eine Klage zum Wohl der Einwohner und der Natur der letzte Schritt.

Mit welche Mitteln können Leser:innen Sie dabei unterstützen?

Bitte sorgen Sie dafür, dass möglichst viele Menschen von der drohenden Rodung unseres Leutewitzer Stadtwaldes und dem zwielichtigen Verhältnis zwischen kommunalen Entscheidungsträgern und dem Bauinvestor sowie dessen offen ausgesprochenen finanziellen Offerten an die Stadt erfahren. Bitte teilen Sie den Beitrag auf Facebook und auf Instagram und informieren Sie Ihr Umfeld darüber. Zudem benötig die Bürgerinitiative „Ein Wald für Cottas Klima” fachkundige Unterstützung in verwaltungs- und umweltrechtlichen Belangen. Wer hier beraten und unterstützen kann, ist herzlich willkommen.