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Zora: "Wer etwas ändern will, muss eben stören!"

Teil 3 der Interview-Reihe mit Aktivist:innen "Stimmen aus dem Dannenröder Forst"

Nach mehreren Abseilaktionen einiger Aktivist:innen von Autobahnbrücken ist der öffentliche Zorn nicht nur über hunderte Waldbesetzer:innen im Dannenröder Forst, sondern über die gesamte Wald- und Klimaschutzbewegung hereingebrochen – insbesondere, nachdem ein Autofahrer am 13. Oktober auf ein Stauende aufgefahren ist und sich dabei schwer verletzt hat. Keine zwei Wochen danach haben sich Aktivist:innen erneut von drei Autobahnbrücken abgeseilt. Unter ihnen auch die etwa 20-jährige Studentin Zora (Waldname), die in der Nähe des Frankfurter Kreuzes mehrere Stunden lang über der A5 hing – mit verheerenden Folgen sowohl für sie selbst als auch für die öffentliche Wahrnehmung der Waldbesetzer:innen. In einer Mischung aus Interview und Streitgespräch hat sich Pro Wald mit Zora über die umstrittene Aktion und ihre Motivation unterhalten. Hat sie schwere Unfälle bewusst in Kauf genommen, und wie hoch ist der Schaden oder der Nutzen derartiger Aktionen für den Waldschutz? Was ist Zora nach der Festnahme durch ein SEK widerfahren, und warum hat sie ihrer Ansicht nach keine Straftat begangen?

Pro Wald: Zora, an welcher Abseilaktion von einer Autobahnbrücke hast Du teilgenommen?

Zora: Ich habe mich am 26. Oktober von einer Autobahnbrücke zwischen dem Frankfurter Kreuz und dem Neu-Isenburger Stadtteil Zeppelinheim über der A5 abgeseilt - allerding ohne in den Verkehrsraum von 4,70 Metern einzugreifen.

Pro Wald: 4,70 Meter über dem Boden also – hast Du Dich vorher informiert, ab wann eine Gefährdung beginnt und welche rechtlichen Konsequenzen das hat?

Zora: Ja klar, zum Beispiel wurden vorher alle Gegenstände, die ich bei mir trug, an mir festgemacht, sodass nichts herunterfallen konnte. Und wir haben genau auf den Abstand zur Straße geachtet. Da ich nicht unter die 4,70 Meter kam, ist es kein Eingriff in den Verkehrsraum und somit als eine Art Versammlung auf der Brücke anzusehen. Ich habe mich auch sehr mit eventuellen Folgen beschäftigt, gerade wegen des schweren Auffahrunfalls am 13. Oktober bei einer vergleichbaren Aktion auf einer Brücke über der A3 beim Limburg, als ein Auto auf das Stauende aufgefahren war. Ich habe mir daher überlegt, wie man trotzdem an die Öffentlichkeit treten kann, trotz und gerade wegen dieses Unfalls.

Pro Wald: Wie hast Du Dich ansonsten auf die Aktion vorbereitet?

Zora: Ich habe zuvor nicht an einer Brücke trainiert oder so etwas. Aber ich hatte bereits Klettererfahrungen, sonst hätte ich das nicht gemacht.

Pro Wald: Wie ist die Aktion genau abgelaufen?

Zora: Nachdem ich mich mit drei weiteren Menschen abgeseilt habe, kam dann auch relativ schnell die Polizei. Die weiteren Menschen, die noch auf der Brücke standen, wurden brutal weggezogen und die Brücke gesperrt, wir blieben hängen. Dann wurde die Autobahn abgesperrt, die letzten Autos fuhren noch unter uns durch, dann war alles leer. Auf beiden Seiten, jeweils fünf Spuren – das dauerte alles. Dann kam die Feuerwehr und das SEK [Sonderreinsatzkommando der Polizei, d. V.], das uns letztendlich herunteruntergeholt hat. Insgesamt hingen wir etwa dreieinhalb Stunden, die Autobahn war rund vier Stunden lang gesperrt.

Pro Wald: Du hast es schon angesprochen, dass es bereits zwei Wochen zuvor eine Abseilaktion von der A3 gegeben hatte. "Bei Idstein führte eine Blockade der A3 zur Vollsperrung, einem schweren Unfall und Festnahmen“, meldete die HR-Hessenschau am 13. Oktober noch recht zurückhaltend, ebenso wie die FNP mit „Blockade der A3 löst schweren Unfall aus“, während die Bildzeitung titelte„ „Autobahn-Hasser lösen Horror-Crash aus“. Die Reaktion in durchweg allen Medien war desaströs. Warum hast Du trotzdem daran mitgewirkt, dass sich eine solche Aktion wiederholt?

Zora: Es ist schrecklich, dass sich dieser Mensch so schwer verletzt hat. Und dass es gerade am Tag der Abseilaktion aufgrund der polizeilichen Räumung passieren musste, ist keine gute Sache. Die Verantwortung für den Unfall auf die Aktivisti zu schieben, halte ich dennoch für falsch. Ich habe an der erneuten Aktion teilgenommen, um gerade wegen des schweren Unfalls darauf aufmerksam zu machen, dass es täglich 1.053 Verletzte und neun Tote durch Autobahnunfälle gibt – das zeigt der Tagesdurchschnitt im Jahr 2019.

Diese Menschen sterben, ohne dass es irgendwen interessiert: Keine Presse berichtet darüber, und es wird einfach hingenommen, dass auf Autobahnen ‚halt so schwere Unfälle passieren‘. Werden daraus Konsequenzen gezogen? Nein. Ich nehme Anteil an dem Unfall und dem schweren Verlauf der Verletzungen. Kein Mensch sollte in diese Situation kommen. Dass die Presse, insbesondere die Bildzeitung, Tatsachen verkürzt und reißerische Schlagzeilen druckt, damit war zu rechen. Beeinflussen kann mensch das jedoch nicht.

Pro Wald: Habt Ihr vor der Abseilaktionen mit den Menschen gesprochen, die am 13. Oktober am der Aktion auf der A3 teilgenommen haben - und was sie im Rückblick darüber denken?

Zora: Ich denke, wenn mensch in so eine Aktion geht, wird im Vorfeld über mögliche Folgen nachgedacht. Ich denke trotzdem, dass die Aktivisti sehr betroffen waren, kann aber auch nicht für sie sprechen. Es ist aber wichtig, sie nicht zu beschuldigen.

Pro Wald: Ich habe mit einer Aktivistin, die zwei Wochen zuvor dabei war, gesprochen. Es belastet sie sehr, auch wenn sie nicht die Schuld tragen will. Meine Frage war, ob Ihr das vor Eurer Aktion auch getan habt, um diese direkten Erfahrungen in Eure Entscheidung einzubeziehen, was nicht der Fall zu sein scheint. Hättet Ihr nicht damit rechnen müssen, dass sich ein solcher Vorfall wiederholt, im schlimmsten Fall sogar mit tödlichem Ausgang?

Zora: Das Problem an der Sache ist, dass wir in der Aktion gar nicht und vor allem nicht ‚schwer‘ in das Verkehrsgeschehen eingegriffen haben. Es liegt im Ermessen der Polizei, dass sie sich dazu entschließt, die Autobahn zu sperren und damit einen Stau zu verursachen. Was ist beispielsweise mit Menschen, die auf der Brücke herumtanzen oder ein Transparent über das Geländer halten? Die können genauso die Autofahrer:innen stören und verwirren. Die Frage ist doch, wie der Diskurs um die heranschreitende Klimakatastrophe in die Öffentlichkeit kommt. Wer etwas ändern will, muss eben stören und provozieren, um gesellschaftliche Debatten zu entfachen.

Pro Wald: Ja klar, es hätte auch ein Wildschwein über die Straße rennen und einen schweren Unfall verursachen können - aber Tatsache ist nun einmal, dass der Unfall passiert ist, nachdem die Polizei die Straße abgesperrt hat, WEIL Aktivisti von der Brücke hingen. Hand aufs Herz: War die Autobahnsperrung nicht sogar das Ziel?

Zora: Mein Ziel war es, dass Menschen sich Gedanken darüber machen, dass wir nicht weiter so Ressourcen verschwendend leben können. Ich richte mich damit auch an die Politik. Es kann nicht sein, dass wir auf Kosten der Natur leben, und auch auf unsere eigenen Kosten, nur um kapitalistischen Interessen nachzugehen.

Pro Wald:„Wer etwas ändern will, muss eben stören und provozieren, um gesellschaftliche Debatten zu entfachen“, sagst Du oben. Bis zu einem gewissen Grad stimme ich Dir zu, aber irgendwann ist der Punkt erreicht, an dem es nicht mehr zielführend, sondern sogar kontraproduktiv ist, die Gesellschaft gegen sich aufzubringen, statt sie mitzunehmen. Nach dem Unfall standen nicht nur die A3-Abseiler:innen massiv in der Kritik, sondern die vielen hunderte Aktivistis, die im Dani protestiert haben und auch noch die vielen Millionen, die ihren Protest wohlwollend begleitet haben. Ich persönlich bin der Meinung, dass die A3-Aktion der Wald- und Klimaschutzbewegung einen Bärendienst erwiesen hat. Wie siehst Du das?

Zora: Ich sehe diese Aktion als Soli-Aktion für den Danni und damit auch ein wenig losgelöst davon. Es war gerade mein Ziel zu provozieren und Debatten anzustoßen, ich wollte die Aufmerksamkeit auf ein Thema ziehen, das schon längst ein Ding in unserer Gesellschaft sein sollte: die Ökologische Verkehrswende. Das Problem ist jedoch, dass viele Menschen nicht sehen wollen, dass dies uns alle angeht und betrifft. Wir brauchen nicht den "deutschen Autowohlstand", sondern ein gerechtes Konzept für alle, das bedeutet etwa, dass wir weg von Individualverkehr hin zu einem komplett ausgebautem ÖPNV-Netz kommen müssen, und das alles auch noch kostenlos. Auch wenn Menschen die Aktion zu ‚radikal‘ fanden, dann hat sie doch immerhin eine Diskussion ausgelöst.

Pro Wald: Ja, das hat sie – aber die falsche. Denn nach dem A3-Unfall ging die Debatte nicht mehr darum, ob wir als Gesellschaft nach drei Dürresommern infolge und inmitten des grassierenden Klimawandels noch gesunde Wälder für seit 40 Jahren unnötige Autobahnen vernichten dürfen. Sondern die Debatte dreht sich nun darum, wie sehr – sorry, das sind nicht meine eigenen Ausdrücke – Ihr „Ökoterroristen“ einen „an der Klatsche“ habt, ob Euch Recht und Gesetz überhaupt etwas bedeuten und ob Ihr bereit seid, für Eure „durchgeknallten Ideen“ Menschenleben zu opfern. Die Diskussion um Umwelt-, Klima- und Waldschutz und Verkehrswende wird seitdem praktisch nicht mehr geführt, weil die gesamte Klima- und Waldschutzbewegung massiv in die Defensive geraten ist.

Zora: Woher stammen die Zitate?

Pro Wald: Leider längst nicht mehr nur aus Publikationsorganen wie der Bildzeitung, sondern das ist der Ton in inzwischen fast sämtlichen Facebook-Kommentarspalten aller Medien einschließlich Süddeutscher Zeitung und Tagesschau unter Beiträgen, die das Thema "Dannenröder Forst" und "Waldbesetzung" auch nur sachte tangieren. Es gibt eine riesige Hasswelle gegen Wald- und Klimaschützer in Deutschland, hast Du diese noch nicht wahrgenommen?

Zora: Ich habe mich natürlich auch damit auseinandergesetzt. Was ich schade finde, ist, dass wir über Facebook-Kommentare reden müssen, da diese bestimmt nicht die Meinung der ‚bürgerlichen Mitte‘ widerspiegelt, also derer, die sich von der Klimabewegung abgewandt haben. Für diejenigen, die schon vorher eine negative Meinung gegenüber dem Engagement im Danni hatten, ist dieser Unfall ein gefundenes Fressen. Ich sehe mich als einen Teil des gesamten Klimagerechtigkeitskampfes. Denn es gibt Menschen, die auf die Straße gehen, es gibt Menschen, die Vorträge halten und zu denen gerne die Facebook-Kommentator:innen gehen können, und es gibt Menschen, die Bäume besetzen. Das alles ist notwendig und alles ist gleich wichtig. Doch gerade dass diese Aktionsform so heftig diskutiert wird, zeigt doch, dass es noch viel Aufklärungsbedarf gibt. Wir brauchen alle ein ökologisches Bewusstsein, um die Klimakatastrophe noch halbwegs stoppen zu können.

Pro Wald: Die Darstellung der Proteste im Danni und insbesondere auch die Abseilaktionen sind durch die Bank in nahezu allen Medien aus Sicht der Aktivisti schlecht bis desaströs – es geht also nicht allein um die Bildzeitung und den Hass-Mob, der sich auf Facebook austobt. Du hast völlig Recht, dass Unfall ein „gefundenes Fressen“ für diejenigen ist, die der Klimabewegung und dem Waldschutz ohnehin ablehnend gegenüberstehen. Aber wenn Du das weißt: Warum lieferst Du diesen Menschen dann diesen „Fressen“ auf dem Silbertablett? Statt die Gesellschaft von der Notwenigkeit des Waldschutzes überzeugen zu können, müssen sich Umweltschützer nun permanent rechtfertigen und klarstellen, dass sie keine Terroristen sind.

Zora: Klar, wie soll sich auch eine positive Meinung zu den Protesten bilden, wenn die Presse lückenhaft berichtet und ein Bild davon zeichnet, welches die staatlichen und somit auch die kapitalistischen Interessen widerspiegelt? Dass es mehrere Unfälle bei der Räumung im Danni mit Stürzen aus teilweise sechs Metern Höhe und schweren Wirbelschäden als Folge gab, die Polizei Elektroschocker in 15 Meter Höhe und Wasserwerfer bei Schneefall einsetzt und dadurch die Gesundheit von allen Menschen gefährdet - darüber wird nicht berichtet. Diese Handlungen sind sehr brutal und unverhältnismäßig. Ich denke, wenn sich mehr Menschen tatsächlich damit auseinandersetzen und sich informieren würden, dann wäre die öffentliche Meinung wahrscheinlich ganz anders.

Pro Wald:Ja eben, das ist doch genau der Punkt. Die Presse- und Medienlandschaft in Deutschland ist ja sehr vielfältig, sie deckt das ganze politische Spektrum ab und steht daher normalerweise allenfalls in Teilen, aber keineswegs geschlossen an der Seite des Staates. Welchen Anteil an der offensichtlich tendenziösen Berichterstattung haben, glaubst Du, solche Aktionen wie die auf den Autobahnbrücken? Die Berichterstattung etwa über die Proteste im Hambacher Forst war aus Perspektive der Waldschützer:innen ja deutlich weniger voreingenommen.

Zora: Naja, wir können gerne über die Objektivität mancher Presseberichterstattungen diskutieren. Das Interessante daran ist, in welcher Weise gerade berichtet wird. Im Protest um den Hambacher Forst ging es darum, dass Familien aus ihrer Heimat vertrieben wurden und der Wald der längst als umweltschädlich erkannten Braunkohleförderung weichen sollte. Die Proteste und Bürger:inneninitiativen haben dazu geführt, dass dies heute nicht mehr vermittelbar ist. Anders ist es dagegen im Kampf im Dannenröder Forst für eine ökologische und soziale Verkehrswende. Denn den guten Bürger mit seinem geliebten SUV anzugreifen, das geht natürlich nicht. Deshalb hat die Gesellschaft auch kein Verständnis für unsere Aktionen.

Pro Wald: Das Narrativ in der Berichterstattung über den Hambacher Forst hast Du meiner Meinung nach richtig benannt: Braunkohle, zerstörte Wälder, vertriebene Familien. Deshalb war der Protest am Ende erfolgreich. Im Dannenröder Wald hätte das Narrativ lauten können: ‚Dreihundert Jahre alter, gesunder Mischwald, eine Autobahn, die so unwichtig ist, dass sie mehr als 40 Jahre lang niemand gebaut hat und doch wird sie ausgerechnet jetzt, nach drei Dürresommern in Folge durchgesetzt.‘ Aktionen wie die auf den Autobahnbrücken haben jedoch ein neues Narrativ gesetzt, nämlich: ‚Ökoterroristen halten sich nicht an Recht und Gesetz und gefährden für ihre Spinnereien sogar Menschenleben.‘ Und das ist ein wichtiger Grund, warum sich der Erfolg in Hambach nicht in Dannenrod wiederholt hat. Was ich denke: Hier ist die gesamte Umweltbewegung über einige nicht zu Ende gedachter Aktionen, ausgeführt von verhältnismäßig kleinen Gruppen, gestolpert.

Zora: Ich habe das Gefühl, dass die Fragen beabsichtigen, dass ich mich aufgrund der negativen Reaktionen von der Wirkung der Abseilaktionen distanzieren soll. Hier werden wir nicht auf einen gemeinsamen Nenner kommen. Was jedoch fest steht, ist, dass wir uns alle fragen sollten, wie wir miteinander und mit unserer Umwelt umgehen wollen. Wir sollten soziale Bedürfnisse vor wirtschaftliche Interesse stellen. Wir sollten uns dafür einsetzen, dass es beispielsweise mehr Fahrradstraßen gibt und autofreie Innenstädte. Ein weiterer Ansatz ist es, den Güterverkehr mehr auf Schienen zu verlagern. Denn neue Autobahnen führen zu mehr Verkehr, zu mehr Lärm und zu mehr Dreck. Weshalb es uns auch alle etwas angeht: Das hohe Verkehrsaufkommen wird durch die hohe Nachfrage an globalen Waren verursacht, und deshalb gehört es auch zu einer sozialen und ökologischen Verkehrswende, Konsum und Warenaustausch zu reduzieren. Also sollten wir keine unnötigen Diskussionen darüber führen, ob, wie, wann und wo welche Aktionen sinnvoll sind. Denn wenn wir jetzt nicht langsam anfangen, entschlossen zu handeln, dann wird es zu spät sein. Diese Sache betrifft uns alle!

Pro Wald: Du hast Recht, dass ich meine Rolle als distanziert fragender Journalist im Laufe des Gesprächs verlassen habe. Wir haben zuletzt ein Experten- oder Streitgespräch zweier Personen geführt, die rein in Punkto Waldschutz dasselbe Ziel haben, aber völlig unterschiedliche Wege für sinnvoll halten, dieses zu erreichen. Die Frage, die sich stellt, ist: Muss die Gesellschaft konfrontiert werden? Oder muss sie überzeugt werden? Hier haben wir unterschiedliche Ansichten. Kehren wir nun aber zur klassischen Interviewform zurück: Was hältst Du von der Idee, dass sich Waldschützer bei künftigem Engagement wie Waldbesetzungen auf einen abgestimmten Verhaltenskodex einigen, der besagt, welche Maßnahmen sinnvoll sind und was zu unterlassen ist? Mit dem Ziel, die „Rettung der Wälder“ mit möglichst breiter Unterstützung aus der Bevölkerung zu erreichen?

Zora: Ich mag diesen Gedankengang nicht, dass alle Menschen, die für den Erhalt dieses Waldes oder generell der Wälder kämpfen, sich alle auf einen "Verhaltenskodex" einigen könnten. Als gäbe es geschriebene Gesetze, wie was zu funktionieren hat. Ich begreife die Klimabewegung als losen Zusammenschluss von Menschen und Gruppen, die alle autonom und für sich selbst sprechend agieren. Für mich ist es auch deshalb ein Kampf gegen Machtstrukturen und Hierarchien, bei dem es darum geht, diese abzubauen. Das Ziel "Rettung der Wälder" ist also nur eins der vielen Ziele, die Menschen haben können. Für mich sind eine ökologische Verkehrswende, nachhaltige Lebenskonzepte und ein nicht profitorientiertes System ebenfalls Ziele, die in diesem Kampf mitspielen.

Pro Wald: Wie ist es Dir nach der Autobahn-Aktion ergangen?

Zora: Wir wurden in die Frankfurter Gefangenensammelstelle, kurz Gesa, gebracht. Dort blieben wir bis zum nächsten Tag, wurden dann ins Gericht gefahren und am Abend der Haftrichterin vorgeführt. Von den mehr als 30 Leuten, die in der Gesa waren, wurden zehn Menschen in U-Haft in Frankfurt-Preungesheim gesteckt. Die letzte Person kam erst Anfang dieser Woche frei – nach sieben Wochen Haft! Es sitzen nach wie vor weitere Menschen in U-Haft, die im Kontext des Dannenröder Forstes in Gewahrsam genommen wurden.

Pro Wald:Lag die lange U-Haft-Zeit daran, dass Ihr Eure Personalien nicht angeben wolltet?

Zora: Ja, der Haftgrund lag in der vermeintlichen Fluchtgefahr. Ohne Personalausweise und ohne dass wir unsere Personalien angeben, hätten wir nicht identifiziert und entsprechend auch keine rechtlichen Konsequenzen tragen müssen. Diejenigen, die Personalien angegeben haben, wurden unter krassen Auflagen aus dem Polizeigewahrsam entlassen. Wir hatten also vor der Haftrichterin nur die beiden Optionen: entweder Angabe der Personalien oder U-Haft. Wer sich erst später in der U-Haft dazu entschlossen hat, die Identität offenzulegen, musste anschließend trotzdem noch bis zu zwei Wochen warten, bis mensch freikam. Nach und nach haben wir alle unsere Personalien angegeben, sonst wären wir noch immer in Untersuchungshaft.

Pro Wald:Bei bis zu sieben Wochen U-Haft scheint die Staatsanwaltschaft Eure Rechtsauffassung, dass Ihr Euch lediglich auf einer Brücke versammelt hättet, nicht geteilt zu haben. Was wird Euch konkret vorgeworfen?

Zora: Vorgeworfen wird uns noch Nötigung, nachdem die Staatsanwaltschaft die ursprünglich postulierte Anklage wegen gefährlichem Eingriff in den Straßenverkehr nicht aufrechterhalten konnte. Der offizielle Haftgrund war wie gesagt Fluchtgefahr. Der eigentliche Grund könnte gewesen sein, dass weitere derartige Aktionen vereitelt werden sollten: Mit der langen Haft könnte ein politisches Exemple statuiert worden sein, um andere abzuschrecken. Also ein politischer Grund.

Pro Wald: Was hat es mit der Nötigung auf sich und wen sollt Ihr genötigt haben?

Zora: Nötigung ist ein Vergehen, also eine Straftat. Die Begründung war, dass die Verkehrsteilnehmer:innen auf der A5 zu langem Warten genötigt worden seien.

Pro Wald: Vor wenigen Tagen hat „Beppo“ im Interview mit mir darüber berichtet, wie es in der Gesa Frankfurt im Zusammenhang mit der im Identitätsfeststellung zu gewalttätigen und auch sexualisierten Übergriffen gekommen sei. Hat Dir auch jemand davon berichtet oder hast Du selbst ähnliche Erfahrungen gemacht?

Zora: Leider ist es der normale Umgang, den die Polizei mit Aktivisti an den Tag legt. Sobald Du in Gewahrsam bist, können sie tun und lassen, was sie wollen. Du wirst dort nicht mehr wie ein Mensch behandelt, sondern wie Dreck. Sie sagen "Das da" zu Dir, verwehren Dir den Toilettengang und interessieren sich nicht dafür, ob du Schmerzen hast. Du musst alles genau so machen, wie sie es wollen. Wenn Du da nicht mitmachst, kann es echt unschön werden

Pro Wald: Was heißt "unschön werden"?

Zora: Sorry, ich weiß nicht, ob ich darauf jetzt schon antworten kann. Es sind sehr persönliche Erfahrungen.

Pro Wald: Natürlich. Welche Bilanz ziehst Du aus der Danni-Besetzung?

Zora: Es wurde durch die Besetzung ein Ort des achtsamen Miteinanders geschaffen, an dem Menschen ressourcenschonend und hierarchiefrei leben, sich austauschen und gegenseitig voneinander lernen können. Dieses alternative Lebenskonzept zeigt einen Weg auf, der weg vom Massenkonsum hin zu einem naturnahen, konsumfreien, Ressourcen wiederverwertenden Lebensstil führt. Negativ ist, dass die Trasse nun gerodet ist. Jedoch ist die Autobahn längst noch nicht asphaltiert, und der Kampf noch lange nicht beendet.

Das Interview führte Ingo Fischer.


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