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Mulkwitzer Hochkippen (bei Cottbus): Vor der zweiten Zerstörung

Steckbrief "Bedrohte Wälder"

Vor rund 60 Jahren wurde der historische Eichenwald "Der alte Luschk" im ostsächsischen Mulkwitz unter einer gigantischen Menge Abraum aus dem benachbarten Braunkohle-Tagebau begraben - für viele Menschen und die Natur in der Oberlausitz war dies ein trauriges Ereignis. Die Wunden sind inzwischen verheilt, denn seitdem hat sich dort mit einer Mischung aus Geduld, biologischem Fachwissen und harter Arbeit ein einzigartiges Ökosystem entwickelt, das mehr als hundert Arten der Roten Liste einschließlich Wolf und Seeadler eine Heimat bietet.

Doch schon bald könnten bis zu eine Million Quadratmeter des Naturgebiet ein zweites Mal zerstört werden – durch fünf große Solarparks, für die der Wald gerodet werden soll. Die Menschen vor Ort sind fassungslos. Pro Wald stellt gemeinsam mit der Interessengemeinschaft Mulkwitzer Hochkippen den Wald in der Oberlausitz und das Bauprojekt vor, das ihn gefährdet.

Wie heißt der bedrohte Wald?

Mulkwitzer Hochkippen. Sie unterteilen sich in die Ost- und in die Westkippe, die Ende der 1960er-Jahre mit dem Abraum des Braunkohletagebaus Nochten aufgeschüttet wurden.

Wo befindet er sich?

In Ostsachsen an der Grenze zu Brandenburg, gut 20 Kilometer südlich von Cottbus im Norden des Landkreises Görlitz. Die Mulkwitzer Hochkippen liegen in der Oberlausitz, die auch als "Wolfsland" bekannt ist.

Wie groß ist der Wald?

Die aufgeschüttete Fläche der Mulkwitzer Hochkippen beträgt 4,1 Millionen Quadratmeter (410 Hektar), die sich aus etwa 250 Hektar Wald sowie 160 Hektar Plateaufläche mit Weihern, Wiesen und landwirtschaftlich genutzten Flächen zusammensetzen. Es sollen nun zwischen 800.000 und einer Million Quadratmeter Wald gerodet werden.

Wem gehört der Wald?

Der Wald bzw. die Hochkippen gehören zwei privaten Großgrundbesitzern. Ostkippe: Hans – Willi Hartmann und Melanie Pommer (Lausitzer Heide GbR). Westkippe: Forst Rohne GmbH & Co KG Robert Prötzig.

Um was für eine Art Wald handelt es sich?

Vor knapp 50 Jahren begann die Aufforstung der Mulkwitzer Hochkippen als Mischwald mit Baumarten wie Kiefer, Birke, Roteiche, Weiß- und Roterle, Espe, Weide, Robinie, Traubeneiche, Feldahorn, Europäischer Lärche und Winterlinde. In einem Feldversuch haben Biologen viele weitere seltene Pflanzen angesiedelt sowie mehrere Weiher angelegt und damit ein weitläufiges, zukunftsfähiges Ökosystem geschaffen.

Wie alt ist er, und wie ist seine Geschichte?

Wo die Mulkwitzer Hochkippe entstanden ist, stand zuvor ein historischer Eichenwald, der "Alte Luschk". Dieses Waldgebiet wurde zwischen 1964 und 1974 westlich der Schleifer Ortsteile Rohne und Mulkwitz zwischen 26 und 34 Meter mit dem Abraum aus dem Braunkohletagebau Nochten aufgeschüttet. Von 1974 an wurden die Hochkippen in mühevoller Arbeit aufgeforstet. Bis in die 1980er-Jahre durfte das Gebiet nicht betreten werden, da sich das Gebiet mehrfach ruckartig absenkte und eine hohe Nachrutschgefahr bestand: Es bildeten sich immer wieder riesige Löcher und Auswaschungen, erst im Laufe der Jahrzehnte entwickelte sich eine solide Standfestigkeit, die noch nicht abgeschlossen ist. Bis sich der Grund komplett verdichtet und verfestigt hat, können von der Aufschüttung an gerechnet bis zu 100 Jahre vergehen.

Ein Brand im herangewachsenen Bestand machte 1992/93 eine erneute Aufforstung auf einer Fläche von mehr als 500.000 Quadratmetern auf Mulkwitzer Seite notwendig. Dabei wurden gleichzeitig die durch das Regenwasser und die Bodenabsenkung entstandenen Erosionsrinnen beseitigt. Heute bestehen die Hochkippen aus etwa 65 Prozent Wald- und 35 Prozent Plateaufläche, darin eingebettet sind Weiher als Feuchtbiotope. Die Forstarbeiter haben auf den Hochkippen ein gutes gemischtes Ökosystem geschaffen. Heute führt Hubertus Scammel, viele Jahre Revierförster des Gebietes, das Lebenswerk seines Vaters fort, der die Mulkwitzer Hochkippen zu einem einzigartigen Ökosystem machte.

Wie ist sein aktueller Zustand?

Der Wald ist in einem stabilen Zustand, an den Hängen der Kippen sind einige Trockenschäden aufgrund der Dürre der letzten Jahre erkennbar. Auch der übliche Windbruch ist vorzufinden.

Was sind seine Besonderheiten?

Aktuell sind 110 Arten der Flora und Fauna auf den Hochkippen erfasst, die auf der Roten Liste der national gefährdeten oder vom Aussterben bedrohten Arten stehen. Hinzu kommen weitere etwa 30 Arten der Roten Liste, bei denen das Vorkommen vermutet wird, darunter das Auerwild und das Birkhuhn. Fest steht, dass sich ein außergewöhnlicher Artenreichtum entwickeln konnte: Neben den bereits genannten Baumarten finden sich dort Wolf, Rot-, Dam-, Schwarz- und Rehwild, Fuchs, Hase, Mäusebussard, Rotmilan, Schwarzmilan, Grünspecht, Kranich, Stockente, Pirol, Kuckuck, Feldlerche, Heidelerche, Sperbergrasmücke, Haubenmeise, Erdkröten und Teichfrösche.

Für viele seltene Schmetterlinge wie Wachtelweizen-Scheckenfalter, Großer Fuchs, Trauermantel, Kaisermantel, Großer Perlmuttfalter, Kleiner Perlmuttfalter, Gemeiner Bläuling, Faulbaumbläuling, Rotbraunes Ochsenauge, Grünspanner, Kleiner Feuerfalter, Segelfalter, Wiesenvögelchen, Grüne Zipfelfalter und Kleiner Waldportier sind die Hochkippen ebenso zur Heimat geworden wie für die Blaugeflügelte Ödlandschrecke, Italienische Schönschrecke, Rotgeflügelte Schnarrschrecke, Warzenbeißer, Heupferdchen, Feldhummel, Dolchwespe, Rote Waldameise, seltene Kiefernprachtkäfer, Großes Mausohr,  Abendsegler, Butterpilze, Semmelpilze, Maronen, Birkenpilze, Pfifferlinge, Widertonmoos, Sumpftorfmoos, Gabelzahnmoos, Brunnenlebermoos, Glashaarmoos, Weißmoos, Tamarisken-Thujamoos, Frauenhaar, Stermpolstermoos, Preiselbeer und Blaubeervorkommen, Dorniger Wurmfarn, Hundsveilchen, Sandstrohblume, Bergjasione, Heidenelke, Grasnelke, Tausendgüldenkraut, Wiesenglockenblume, Mauerpfeffer, Katzenpfötchen, Hundszunge, Großes Zweiblatt, Breitblättriger Sitter, Rotbrauner Sitter, Gelbe Teichrose, Rote und Weiße Seerose, Uferschachtelhalm, Besenheide, Golddistel, Sanddorn, Landreitgras, Sommerflieder, Moosauge, Kleines Wintergrün, Birngrün, Graue Segge, Bärenschote, Sandsegge, Gemeiner Steinquendel, Moosauge, Winterlieb, Kleines Wintergrün und Grünliches Wintergrün.

Es finden sich verschiedene Lebensraumtypen wie Trockenwiese, Caluna-Heideflächen, trockener Kiefernwald, Abflusslose Teiche und Tümpel, bodensaurer Eichenmischwald, Hangerlenwald. Selbst ein offiziell kartierter Horst mit einem Seeadlerpaar befindet sich unterhalb der Hochkippen, deren Gebiet vollumfänglich zum Habitat der Greifvögel gehören.

Warum ist der Wald aktuell bedroht?

Die Kronos Solar Projects GmbH und die Solizer GmbH wollen in dem Gebiet fünf große Solarfelder auf insgesamt 165 Hektar großen Flächen errichten. Davon betroffen sind nicht nur Wiesen- und Acker-, die überbaut werden sollen, sondern auch zwischen 800.000 und einer Million Quadratmeter große Waldflächen, die dafür gerodet werden sollen.

Was würden die geplanten Eingriffe für den Wald, die Tiere, die Natur und die Menschen bedeuten?

Ausgerechnet in einem vom Braunkohleabbau geprägten Gebiet, in dem für den Tagebau ganze Landstriche und Dörfer zerstört und verwüstet wurden, hat sich Dank jahrzehntelanger Geduld und Schwerstarbeit ein wundervolles, artenreiches Ökosystem entwickelt. Würden die Bauvorhaben wie geplant umgesetzt, würde ein in 50 Jahre erschaffener Naturraum zerstückelt und wieder zerstört. Der Wald ist Zufluchtsort für viele, teilweise extrem seltene und vom Aussterben bedrohte Tiere und Habitat zahlreicher seltener Pflanzen geworden, dieses würde komplett wegfallen. Dort wo heute noch Wald und Wiesen stehen, würde es erst großflächige Rodungen, dann Flächenversieglungen geben. Der Großteil der Bürger:innen ist dagegen, doch deren Wille scheint nicht zu interessieren. Dabei hat insbesondere die Mulkwitzer Bevölkerung eine große emotionale Bindung zu ihrem Naherholungsgebiet. Jedes Jahr zu Silvester machen sie traditionell eine Winterwanderung auf ihre Hochkippen. 60 Jahre, nachdem die Menschen ihren "Alten Luschk" verloren haben, würden sie nun auch die seitdem dort neu entstandene Naturlandschaft verlieren.

Was sind die Argumente der Befürworter der baulichen Eingriffe?

In erster Linie sind es zusätzliche Gewerbesteuereinnahmen, die die Rodung und die Umwandlung der Flächen in Solarparks für die Kommune attraktiv macht. Zudem sollen ortsansässige Firmen profitieren, indem sie Grünflächen zwischen den Solaranlagen pflegen und beim Aufbau beteiligt werden sollen. Und nicht zuletzt wird mit der Notwendigkeit der Energiewende argumentiert. Insgesamt ist erstaunlich, dass seitens der Befürworter des Bauvorhabens in der lokalen Politik kaum ein Versuch unternommen wird, die Bevölkerung von der Notwendigkeit der Rodungen und Flächenversiegelungen zu überzeugen. Sie scheinen sich ihrer Sache sehr sicher zu sein.

Welche Argumente sprechen dagegen?

Geld kann kein Ökosystem ersetzen. Natürlich sind Gewerbesteuereinnahmen wichtig für die Orte, aber mindestens ebenso wichtig ist es, angesichts des Artenschwundes an unsere Zukunft und die unserer Kinder zu denken. Ziel muss es sein, unseren ökologischen Fußabdruck, den wir hinterlassen, so klein wie möglich zu halten. Entscheidungen, die wir heute treffen, haben hinsichtlich des Massen-Artensterbens weitreichende Folgen für die Zukunft, die so gravierend sein werden, dass wir ihr Ausmaß noch gar nicht ermessen können.

Die Energiewende ist zweifellos sehr wichtig, um den Klimawandel zu mildern. Aber damit zu argumentieren, um wertvolle Ökosysteme zu zerstören, während in unmittelbarer Nachbarschaft weiter Tagebau betrieben wird, ist nicht nachvollziehbar. In den nächsten Jahren möchte die LEAG als Eigentümerin der Tagebauflächen, dort ebenfalls Solarparks errichten, da der Ausstieg aus der Braunkohle ja 2038 bald erreicht ist. Zumindest müsste dort keine Natur zerstört werden, jedoch könnte sie dann auch nicht wieder neu entstehen.

Welche Kompromisslösungen gibt es?

Solaranlagen gehören in erster Linie auf möglichst jedes Dach und zusätzlich auf Industriebrachen, aber eben nicht in einzigartige Naturlandschaften wie die Mulkwitzer Hochkippen. Das ganze Gebiet sollte zu einem Naturschutzgebiet ernannt und in kommunaler Trägerschaft geführt werden.

Wie ist der aktuelle Stand?

Zurzeit geht es um den Aufstellungsbeschluss für den gemeindlichen Bebauungsplan der Gemeinde Schleife. Der erste Termin zur Abstimmung stand bereits, wurde jedoch auch aufgrund der Aktivitäten der Umweltschützer verschoben. Vermutlich soll noch im Sommer abgestimmt werden. Sofern die geplanten Beschlüsse eine Mehrheit bekommen, stünde anschließend das Genehmigungsverfahren sowie gegebenenfalls eine Umweltverträglichkeitsprüfung an. Wie lange diese dauert, ist schwer abzuschätzen, kann aber in in etwa zwei Jahren abgeschlossen sein.

Welche Aktionsbündnisse, Bürgerinitiativen und Umweltverbände engagieren sich für den Erhalt des Waldes?

Interessengemeinschaft Mulkwitzer Hochkippen, E-Mail: ig-mulkwitzerhochkippen(at)mail.de

NABU Regionalgruppe Weißwasser, E-Mai: nabu-wsw@email.de

Engagierte Einzelpersonen wie Thomas Mitschke, Mario Trampenau, Christian und Edith Penk, Winfried Konzan, Hubertus Scammel, Naturfilmer Matthias Kays, Tobias Bürger und sehr viele Bürger:innen aus Rohne, Mulkwitz und Schleife.

Welche Möglichkeiten sehen Sie, die drohenden Rodungen noch zu verhindern?

Wir von Interessengemeinschaft Mulkwitzer Hochkippen hoffen, dass die Gemeinderäte gegen den Bauaufstellungsbeschluss stimmen. Wenn das nicht gelingt, wollen wir erreichen, dass das Projekt im Planverfahren kippt. Um das zu erreichen, wollen wir auf unserer Webseite und auf Facebook darüber aufklären und informieren, welche Folgen für die Zukunft die Zerstörung der Naturlandschaft auf den Mulkwitzer Hochkippen hat.

Wir nehmen an Gemeindeversammlungen und an den öffentlichen Ausschusssitzungen teil, um Präsenz zu zeigen. Einige Vertreter aus der Politik haben wir bereits durch die Hochkippen geführt. Auch zur nächsten Sitzung des Gemeinderates werden wir wieder mit einer Veranstaltung vor Ort sein. Zudem prüfen wir derzeit ein Bürgerbegehren und einen Bürgerentscheid.

Mit welche Mitteln können Leser:innen Sie bei Ihrem Engagement unterstützen?

Wer in der Umgebung wohnt, kann an unseren Veranstaltungen teilnehmen, uns bei den Gemeinderatssitzungen mit einer Teilnahme unterstützen und unsere Unterschriftenliste unterschreiben. In den Orten Rohne, Mulkwitz und Schleife haben bisher rund 400 der insgesamt 2400 Einwohner für den Erhalt der Naturflächen unterschreiben. Wer nicht aus der Gegend kommt, kann gerne diesen Beitrag teilen und unsere Facebook-Seite liken und kommentieren. Es ist wichtig, dass viele Menschen davon erfahren. Unterstützen Sie bitte auch unsere Online-Petition bei Change.org, die bereits mehr als 2.000 Menschen unterschrieben haben. Da wir einige Ausgaben für Banner, Aufkleber oder Artikel im örtlichen Gemeindeblatt haben, freuen wir uns über jede große und kleine Spende. Das Geld wird ausnahmslos investiert, um die Mulkwitzer Hochkippen zu retten. Alles, was am Ende überbleiben sollte, verwenden wir, um das Gebiet etwa mit Schautafeln oder Nistkästen aufzuwerten. Bitte teilen Sie zudem das Video der beiden Naturfilmern Matthias Kays und Tobias Bürger.