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Die Aktivisten haben einfach nicht unsere Sprache gesprochen

3. Teil der Interview-Reihe: Stimmen in den Dannenröder Forst

Nach mehreren Abseilaktionen einiger Aktivist:innen von Autobahnbrücken ist der öffentliche Zorn nicht nur über hunderte Waldbesetzer:innen im Dannenröder Forst, sondern über die gesamte Wald- und Klimaschutzbewegung hereingebrochen – insbesondere, nachdem ein Autofahrer am 13. Oktober auf ein Stauende aufgefahren ist und sich dabei schwer verletzt hat. Keine zwei Wochen danach haben sich Aktivist:innen erneut von drei Autobahnbrücken abgeseilt. Unter ihnen auch die etwa 20-jährige Studentin Zora (Waldname), die in der Nähe des Frankfurter Kreuzes mehrere Stunden lang über der A5 hing – mit verheerenden Folgen sowohl für sie selbst als auch für die öffentliche Wahrnehmung der Waldbesetzer:innen. In einer Mischung aus Interview und Streitgespräch hat sich Pro Wald mit Zora über die umstrittene Aktion und ihre Motivation unterhalten. Hat sie schwere Unfälle bewusst in Kauf genommen, und wie hoch ist der Schaden oder der Nutzen derartiger Aktionen für den Waldschutz? Was ist Zora nach der Festnahme durch ein SEK widerfahren, und warum hat sie ihrer Ansicht nach keine Straftat begangen?

Pro Wald: Zora, an welcher Abseilaktion von einer Autobahnbrücke hast Du teilgenommen?

Zora: Ich habe mich am 26. Oktober von einer Autobahnbrücke zwischen dem Frankfurter Kreuz und dem Neu-Isenburger Stadtteil Zeppelinheim über der A5 abgeseilt - allerding ohne in den Verkehrsraum von 4,70 Metern einzugreifen.

Pro Wald: 4,70 Meter über dem Boden also – hast Du Dich vorher informiert, ab wann eine Gefährdung beginnt und welche rechtlichen Konsequenzen das hat?

Zora: Ja klar, zum Beispiel wurden vorher alle Gegenstände, die ich bei mir trug, an mir festgemacht, sodass nichts herunterfallen konnte. Und wir haben genau auf den Abstand zur Straße geachtet. Da ich nicht unter die 4,70 Meter kam, ist es kein Eingriff in den Verkehrsraum und somit als eine Art Versammlung auf der Brücke anzusehen. Ich habe mich auch sehr mit eventuellen Folgen beschäftigt, gerade wegen des schweren Auffahrunfalls am 13. Oktober bei einer vergleichbaren Aktion auf einer Brücke über der A3 beim Limburg, als ein Auto auf das Stauende aufgefahren war. Ich habe mir daher überlegt, wie man trotzdem an die Öffentlichkeit treten kann, trotz und gerade wegen dieses Unfalls.

Pro Wald: Wie hast Du Dich ansonsten auf die Aktion vorbereitet?

Zora: Ich habe zuvor nicht an einer Brücke trainiert oder so etwas. Aber ich hatte bereits Klettererfahrungen, sonst hätte ich das nicht gemacht.

Pro Wald: Wie ist die Aktion genau abgelaufen?

Zora: Nachdem ich mich mit drei weiteren Menschen abgeseilt habe, kam dann auch relativ schnell die Polizei. Die weiteren Menschen, die noch auf der Brücke standen, wurden brutal weggezogen und die Brücke gesperrt, wir blieben hängen. Dann wurde die Autobahn abgesperrt, die letzten Autos fuhren noch unter uns durch, dann war alles leer. Auf beiden Seiten, jeweils fünf Spuren – das dauerte alles. Dann kam die Feuerwehr und das SEK [Sonderreinsatzkommando der Polizei, d. V.], das uns letztendlich herunteruntergeholt hat. Insgesamt hingen wir etwa dreieinhalb Stunden, die Autobahn war rund vier Stunden lang gesperrt.

Pro Wald: Du hast es schon angesprochen, dass es bereits zwei Wochen zuvor eine Abseilaktion von der A3 gegeben hatte. "Bei Idstein führte eine Blockade der A3 zur Vollsperrung, einem schweren Unfall und Festnahmen“, meldete die HR-Hessenschau am 13. Oktober noch recht zurückhaltend, ebenso wie die FNP mit „Blockade der A3 löst schweren Unfall aus“, während die Bildzeitung titelte„ „Autobahn-Hasser lösen Horror-Crash aus“. Die Reaktion in durchweg allen Medien war desaströs. Warum hast Du trotzdem daran mitgewirkt, dass sich eine solche Aktion wiederholt?

Zora: Es ist schrecklich, dass sich dieser Mensch so schwer verletzt hat. Und dass es gerade am Tag der Abseilaktion aufgrund der polizeilichen Räumung passieren musste, ist keine gute Sache. Die Verantwortung für den Unfall auf die Aktivisti zu schieben, halte ich dennoch für falsch. Ich habe an der erneuten Aktion teilgenommen, um gerade wegen des schweren Unfalls darauf aufmerksam zu machen, dass es täglich 1.053 Verletzte und neun Tote durch Autobahnunfälle gibt – das zeigt der Tagesdurchschnitt im Jahr 2019. Diese Menschen sterben, ohne dass es irgendwen interessiert: Keine Presse berichtet darüber, und es wird einfach hingenommen, dass auf Autobahnen ‚halt so schwere Unfälle passieren‘. Werden daraus Konsequenzen gezogen? Nein. Ich nehme Anteil an dem Unfall und dem schweren Verlauf der Verletzungen. Kein Mensch sollte in diese Situation kommen. Dass die Presse, insbesondere die Bildzeitung, Tatsachen verkürzt und reißerische Schlagzeilen druckt, damit war zu rechen. Beeinflussen kann mensch das jedoch nicht.

Pro Wald: Habt Ihr vor der Abseilaktionen mit den Menschen gesprochen, die am 13. Oktober am der Aktion auf der A3 teilgenommen haben - und was sie im Rückblick darüber denken?

Zora: Ich denke, wenn mensch in so eine Aktion geht, wird im Vorfeld über mögliche Folgen nachgedacht. Ich denke trotzdem, dass die Aktivisti sehr betroffen waren, kann aber auch nicht für sie sprechen. Es ist aber wichtig, sie nicht zu beschuldigen.

Pro Wald: Ich habe mit einer Aktivistin, die zwei Wochen zuvor dabei war, gesprochen. Es belastet sie sehr, auch wenn sie nicht die Schuld tragen will. Meine Frage war, ob Ihr das vor Eurer Aktion auch getan habt, um diese direkten Erfahrungen in Eure Entscheidung einzubeziehen, was nicht der Fall zu sein scheint. Hättet Ihr nicht damit rechnen müssen, dass sich ein solcher Vorfall wiederholt, im schlimmsten Fall sogar mit tödlichem Ausgang?

Zora: Das Problem an der Sache ist, dass wir in der Aktion gar nicht und vor allem nicht ‚schwer‘ in das Verkehrsgeschehen eingegriffen haben. Es liegt im Ermessen der Polizei, dass sie sich dazu entschließt, die Autobahn zu sperren und damit einen Stau zu verursachen. Was ist beispielsweise mit Menschen, die auf der Brücke herumtanzen oder ein Transparent über das Geländer halten? Die können genauso die Autofahrer:innen stören und verwirren. Die Frage ist doch, wie der Diskurs um die heranschreitende Klimakatastrophe in die Öffentlichkeit kommt. Wer etwas ändern will, muss eben stören und provozieren, um gesellschaftliche Debatten zu entfachen.

Pro Wald: Ja klar, es hätte auch ein Wildschwein über die Straße rennen und einen schweren Unfall verursachen können - aber Tatsache ist nun einmal, dass der Unfall passiert ist, nachdem die Polizei die Straße abgesperrt hat, WEIL Aktivisti von der Brücke hingen. Hand aufs Herz: War die Autobahnsperrung nicht sogar das Ziel?

Zora: Mein Ziel war es, dass Menschen sich Gedanken darüber machen, dass wir nicht weiter so Ressourcen verschwendend leben können. Ich richte mich damit auch an die Politik. Es kann nicht sein, dass wir auf Kosten der Natur leben, und auch auf unsere eigenen Kosten, nur um kapitalistischen Interessen nachzugehen.

Pro Wald: „Wer etwas ändern will, muss eben stören und provozieren, um gesellschaftliche Debatten zu entfachen“, sagst Du oben. Bis zu einem gewissen Grad stimme ich Dir zu, aber irgendwann ist der Punkt erreicht, an dem es nicht mehr zielführend, sondern sogar kontraproduktiv ist, die Gesellschaft gegen sich aufzubringen, statt sie mitzunehmen. Nach dem Unfall standen nicht nur die A3-Abseiler:innen massiv in der Kritik, sondern die vielen hunderte Aktivistis, die im Dani protestiert haben und auch noch die vielen Millionen, die ihren Protest wohlwollend begleitet haben. Ich persönlich bin der Meinung, dass die A3-Aktion der Wald- und Klimaschutzbewegung einen Bärendienst erwiesen hat. Wie siehst Du das?

Zora: Ich sehe diese Aktion als Soli-Aktion für den Danni und damit auch ein wenig losgelöst davon. Es war gerade mein Ziel zu provozieren und Debatten anzustoßen, ich wollte die Aufmerksamkeit auf ein Thema ziehen, das schon längst ein Ding in unserer Gesellschaft sein sollte: die Ökologische Verkehrswende. Das Problem ist jedoch, dass viele Menschen nicht sehen wollen, dass dies uns alle angeht und betrifft. Wir brauchen nicht den "deutschen Autowohlstand", sondern ein gerechtes Konzept für alle, das bedeutet etwa, dass wir weg von Individualverkehr hin zu einem komplett ausgebautem ÖPNV-Netz kommen müssen, und das alles auch noch kostenlos. Auch wenn Menschen die Aktion zu ‚radikal‘ fanden, dann hat sie doch immerhin eine Diskussion ausgelöst.

Pro Wald: Ja, das hat sie – aber die falsche. Denn nach dem A3-Unfall ging die Debatte nicht mehr darum, ob wir als Gesellschaft nach drei Dürresommern infolge und inmitten des grassierenden Klimawandels noch gesunde Wälder für seit 40 Jahren unnötige Autobahnen vernichten dürfen. Sondern die Debatte dreht sich nun darum, wie sehr – sorry, das sind nicht meine eigenen Ausdrücke – Ihr „Ökoterroristen“ einen „an der Klatsche“ habt, ob Euch Recht und Gesetz überhaupt etwas bedeuten und ob Ihr bereit seid, für Eure „durchgeknallten Ideen“ Menschenleben zu opfern. Die Diskussion um Umwelt-, Klima- und Waldschutz und Verkehrswende wird seitdem praktisch nicht mehr geführt, weil die gesamte Klima- und Waldschutzbewegung massiv in die Defensive geraten ist.

Zora: Woher stammen die Zitate?

Pro Wald: Leider längst nicht mehr nur aus Publikationsorganen wie der Bildzeitung, sondern das ist der Ton in inzwischen fast sämtlichen Facebook-Kommentarspalten aller Medien einschließlich Süddeutscher Zeitung und Tagesschau unter Beiträgen, die das Thema "Dannenröder Forst" und "Waldbesetzung" auch nur sachte tangieren. Es gibt eine riesige Hasswelle gegen Wald- und Klimaschützer in Deutschland, hast Du diese noch nicht wahrgenommen?

Zora: Ich habe mich natürlich auch damit auseinandergesetzt. Was ich schade finde, ist, dass wir über Facebook-Kommentare reden müssen, da diese bestimmt nicht die Meinung der ‚bürgerlichen Mitte‘ widerspiegelt, also derer, die sich von der Klimabewegung abgewandt haben. Für diejenigen, die schon vorher eine negative Meinung gegenüber dem Engagement im Danni hatten, ist dieser Unfall ein gefundenes Fressen. Ich sehe mich als einen Teil des gesamten Klimagerechtigkeitskampfes. Denn es gibt Menschen, die auf die Straße gehen, es gibt Menschen, die Vorträge halten und zu denen gerne die Facebook-Kommentator:innen gehen können, und es gibt Menschen, die Bäume besetzen. Das alles ist notwendig und alles ist gleich wichtig. Doch gerade dass diese Aktionsform so heftig diskutiert wird, zeigt doch, dass es noch viel Aufklärungsbedarf gibt. Wir brauchen alle ein ökologisches Bewusstsein, um die Klimakatastrophe noch halbwegs stoppen zu können.

Pro Wald: Die Darstellung der Proteste im Danni und insbesondere auch die Abseilaktionen sind durch die Bank in nahezu allen Medien aus Sicht der Aktivisti schlecht bis desaströs – es geht also nicht allein um die Bildzeitung und den Hass-Mob, der sich auf Facebook austobt. Du hast völlig Recht, dass Unfall ein „gefundenes Fressen“ für diejenigen ist, die der Klimabewegung und dem Waldschutz ohnehin ablehnend gegenüberstehen. Aber wenn Du das weißt: Warum lieferst Du diesen Menschen dann diesen „Fressen“ auf dem Silbertablett? Statt die Gesellschaft von der Notwenigkeit des Waldschutzes überzeugen zu können, müssen sich Umweltschützer nun permanent rechtfertigen und klarstellen, dass sie keine Terroristen sind.

Zora: Klar, wie soll sich auch eine positive Meinung zu den Protesten bilden, wenn die Presse lückenhaft berichtet und ein Bild davon zeichnet, welches die staatlichen und somit auch die kapitalistischen Interessen widerspiegelt? Dass es mehrere Unfälle bei der Räumung im Danni mit Stürzen aus teilweise sechs Metern Höhe und schweren Wirbelschäden als Folge gab, die Polizei Elektroschocker in 15 Meter Höhe und Wasserwerfer bei Schneefall einsetzt und dadurch die Gesundheit von allen Menschen gefährdet - darüber wird nicht berichtet. Diese Handlungen sind sehr brutal und unverhältnismäßig. Ich denke, wenn sich mehr Menschen tatsächlich damit auseinandersetzen und sich informieren würden, dann wäre die öffentliche Meinung wahrscheinlich ganz anders.

Pro Wald: Ja eben, das ist doch genau der Punkt. Die Presse- und Medienlandschaft in Deutschland ist ja sehr vielfältig, sie deckt das ganze politische Spektrum ab und steht daher normalerweise allenfalls in Teilen, aber keineswegs geschlossen an der Seite des Staates. Welchen Anteil an der offensichtlich tendenziösen Berichterstattung haben, glaubst Du, solche Aktionen wie die auf den Autobahnbrücken? Die Berichterstattung etwa über die Proteste im Hambacher Forst war aus Perspektive der Waldschützer:innen ja deutlich weniger voreingenommen.

Zora: Naja, wir können gerne über die Objektivität mancher Presseberichterstattungen diskutieren. Das Interessante daran ist, in welcher Weise gerade berichtet wird. Im Protest um den Hambacher Forst ging es darum, dass Familien aus ihrer Heimat vertrieben wurden und der Wald der längst als umweltschädlich erkannten Braunkohleförderung weichen sollte. Die Proteste und Bürger:inneninitiativen haben dazu geführt, dass dies heute nicht mehr vermittelbar ist. Anders ist es dagegen im Kampf im Dannenröder Forst für eine ökologische und soziale Verkehrswende. Denn den guten Bürger mit seinem geliebten SUV anzugreifen, das geht natürlich nicht. Deshalb hat die Gesellschaft auch kein Verständnis für unsere Aktionen.

Pro Wald: Das Narrativ in der Berichterstattung über den Hambacher Forst hast Du meiner Meinung nach richtig benannt: Braunkohle, zerstörte Wälder, vertriebene Familien. Deshalb war der Protest am Ende erfolgreich. Im Dannenröder Wald hätte das Narrativ lauten können: ‚Dreihundert Jahre alter, gesunder Mischwald, eine Autobahn, die so unwichtig ist, dass sie mehr als 40 Jahre lang niemand gebaut hat und doch wird sie ausgerechnet jetzt, nach drei Dürresommern in Folge durchgesetzt.‘ Aktionen wie die auf den Autobahnbrücken haben jedoch ein neues Narrativ gesetzt, nämlich: ‚Ökoterroristen halten sich nicht an Recht und Gesetz und gefährden für ihre Spinnereien sogar Menschenleben.‘ Und das ist ein wichtiger Grund, warum sich der Erfolg in Hambach nicht in Dannenrod wiederholt hat. Was ich denke: Hier ist die gesamte Umweltbewegung über einige nicht zu Ende gedachter Aktionen, ausgeführt von verhältnismäßig kleinen Gruppen, gestolpert.

Zora: Ich habe das Gefühl, dass die Fragen beabsichtigen, dass ich mich aufgrund der negativen Reaktionen von der Wirkung der Abseilaktionen distanzieren soll. Hier werden wir nicht auf einen gemeinsamen Nenner kommen. Was jedoch fest steht, ist, dass wir uns alle fragen sollten, wie wir miteinander und mit unserer Umwelt umgehen wollen. Wir sollten soziale Bedürfnisse vor wirtschaftliche Interesse stellen. Wir sollten uns dafür einsetzen, dass es beispielsweise mehr Fahrradstraßen gibt und autofreie Innenstädte. Ein weiterer Ansatz ist es, den Güterverkehr mehr auf Schienen zu verlagern. Denn neue Autobahnen führen zu mehr Verkehr, zu mehr Lärm und zu mehr Dreck. Weshalb es uns auch alle etwas angeht: Das hohe Verkehrsaufkommen wird durch die hohe Nachfrage an globalen Waren verursacht, und deshalb gehört es auch zu einer sozialen und ökologischen Verkehrswende, Konsum und Warenaustausch zu reduzieren. Also sollten wir keine unnötigen Diskussionen darüber führen, ob, wie, wann und wo welche Aktionen sinnvoll sind. Denn wenn wir jetzt nicht langsam anfangen, entschlossen zu handeln, dann wird es zu spät sein. Diese Sache betrifft uns alle!

Pro Wald: Du hast Recht, dass ich meine Rolle als distanziert fragender Journalist im Laufe des Gesprächs verlassen habe. Wir haben zuletzt ein Experten- oder Streitgespräch zweier Personen geführt, die rein in Punkto Waldschutz dasselbe Ziel haben, aber völlig unterschiedliche Wege für sinnvoll halten, dieses zu erreichen. Die Frage, die sich stellt, ist: Muss die Gesellschaft konfrontiert werden? Oder muss sie überzeugt werden? Hier haben wir unterschiedliche Ansichten. Kehren wir nun aber zur klassischen Interviewform zurück: Was hältst Du von der Idee, dass sich Waldschützer bei künftigem Engagement wie Waldbesetzungen auf einen abgestimmten Verhaltenskodex einigen, der besagt, welche Maßnahmen sinnvoll sind und was zu unterlassen ist? Mit dem Ziel, die „Rettung der Wälder“ mit möglichst breiter Unterstützung aus der Bevölkerung zu erreichen?

Zora: Ich mag diesen Gedankengang nicht, dass alle Menschen, die für den Erhalt dieses Waldes oder generell der Wälder kämpfen, sich alle auf einen "Verhaltenskodex" einigen könnten. Als gäbe es geschriebene Gesetze, wie was zu funktionieren hat. Ich begreife die Klimabewegung als losen Zusammenschluss von Menschen und Gruppen, die alle autonom und für sich selbst sprechend agieren. Für mich ist es auch deshalb ein Kampf gegen Machtstrukturen und Hierarchien, bei dem es darum geht, diese abzubauen. Das Ziel "Rettung der Wälder" ist also nur eins der vielen Ziele, die Menschen haben können. Für mich sind eine ökologische Verkehrswende, nachhaltige Lebenskonzepte und ein nicht profitorientiertes System ebenfalls Ziele, die in diesem Kampf mitspielen.

Pro Wald: Wie ist es Dir nach der Autobahn-Aktion ergangen?

Zora: Wir wurden in die Frankfurter Gefangenensammelstelle, kurz Gesa, gebracht. Dort blieben wir bis zum nächsten Tag, wurden dann ins Gericht gefahren und am Abend der Haftrichterin vorgeführt. Von den mehr als 30 Leuten, die in der Gesa waren, wurden zehn Menschen in U-Haft in Frankfurt-Preungesheim gesteckt. Die letzte Person kam erst Anfang dieser Woche frei – nach sieben Wochen Haft! Es sitzen nach wie vor weitere Menschen in U-Haft, die im Kontext des Dannenröder Forstes in Gewahrsam genommen wurden.

Pro Wald: Lag die lange U-Haft-Zeit daran, dass Ihr Eure Personalien nicht angeben wolltet?

Zora: Ja, der Haftgrund lag in der vermeintlichen Fluchtgefahr. Ohne Personalausweise und ohne dass wir unsere Personalien angeben, hätten wir nicht identifiziert und entsprechend auch keine rechtlichen Konsequenzen tragen müssen. Diejenigen, die Personalien angegeben haben, wurden unter krassen Auflagen aus dem Polizeigewahrsam entlassen. Wir hatten also vor der Haftrichterin nur die beiden Optionen: entweder Angabe der Personalien oder U-Haft. Wer sich erst später in der U-Haft dazu entschlossen hat, die Identität offenzulegen, musste anschließend trotzdem noch bis zu zwei Wochen warten, bis mensch freikam. Nach und nach haben wir alle unsere Personalien angegeben, sonst wären wir noch immer in Untersuchungshaft.

Pro Wald: Bei bis zu sieben Wochen U-Haft scheint die Staatsanwaltschaft Eure Rechtsauffassung, dass Ihr Euch lediglich auf einer Brücke versammelt hättet, nicht geteilt zu haben. Was wird Euch konkret vorgeworfen?

Zora: Vorgeworfen wird uns noch Nötigung, nachdem die Staatsanwaltschaft die ursprünglich postulierte Anklage wegen gefährlichem Eingriff in den Straßenverkehr nicht aufrechterhalten konnte. Der offizielle Haftgrund war wie gesagt Fluchtgefahr. Der eigentliche Grund könnte gewesen sein, dass weitere derartige Aktionen vereitelt werden sollten: Mit der langen Haft könnte ein politisches Exemple statuiert worden sein, um andere abzuschrecken. Also ein politischer Grund.

Pro Wald: Was hat es mit der Nötigung auf sich und wen sollt Ihr genötigt haben?

Zora: Nötigung ist ein Vergehen, also eine Straftat. Die Begründung war, dass die Verkehrsteilnehmer:innen auf der A5 zu langem Warten genötigt worden seien.

Pro Wald: Vor wenigen Tagen hat „Beppo“ im Interview mit mir darüber berichtet, wie es in der Gesa Frankfurt im Zusammenhang mit der im Identitätsfeststellung zu gewalttätigen und auch sexualisierten Übergriffen gekommen sei. Hat Dir auch jemand davon berichtet oder hast Du selbst ähnliche Erfahrungen gemacht?

Zora: Leider ist es der normale Umgang, den die Polizei mit Aktivisti an den Tag legt. Sobald Du in Gewahrsam bist, können sie tun und lassen, was sie wollen. Du wirst dort nicht mehr wie ein Mensch behandelt, sondern wie Dreck. Sie sagen "Das da" zu Dir, verwehren Dir den Toilettengang und interessieren sich nicht dafür, ob du Schmerzen hast. Du musst alles genau so machen, wie sie es wollen. Wenn Du da nicht mitmachst, kann es echt unschön werden

Pro Wald: Was heißt "unschön werden"?

Zora: Sorry, ich weiß nicht, ob ich darauf jetzt schon antworten kann. Es sind sehr persönliche Erfahrungen.

Pro Wald: Natürlich. Welche Bilanz ziehst Du aus der Danni-Besetzung?

Zora: Es wurde durch die Besetzung ein Ort des achtsamen Miteinanders geschaffen, an dem Menschen ressourcenschonend und hierarchiefrei leben, sich austauschen und gegenseitig voneinander lernen können. Dieses alternative Lebenskonzept zeigt einen Weg auf, der weg vom Massenkonsum hin zu einem naturnahen, konsumfreien, Ressourcen wiederverwertenden Lebensstil führt. Negativ ist, dass die Trasse nun gerodet ist. Jedoch ist die Autobahn längst noch nicht asphaltiert, und der Kampf noch lange nicht beendet.

Das Interview führte Ingo Fischer.

"Die Aktivisten haben einfach nicht unsere Sprache gesprochen"

Sabine Offhaus hat seit Jahrzehnten damit gerechnet, dass die A49 irgendwann durch den Dannenröder Forst gebaut wird – und war dann doch überrascht, als der Wald im Oktober 2019 plötzlich besetzt war und die Bäume für die Autobahnschneise ein Jahr später gerodet wurden. Im Interview erklärt die 52-jährige Anwohnerin aus dem benachbarten Feldatal, warum die anfängliche Sympathie vieler Menschen aus dem Vogelsberg für die Aktivist:innen schnell abgekühlt ist, warum sie sich trotz erheblicher Bedenken für den Autobahnbau ausgesprochen hat und wie Protest gegen Waldrodungen künftig funktionieren muss, um erfolgreich zu sein.

Pro Wald: Frau Offhaus, wir führen dieses Interview in einer stark aufgeheizten Gemengelage. Damit unsere Leser:innen Ihre Aussagen besser einordnen können, teilen Sie vorab bitte mit, ob und in welcher Weise Sie politisch aktiv sind, ob Sie einer politischen Partei angehören und ob Sie die Interessen etwa einer Organisation oder Bürgerinitiative pro oder contra den Erhalt des Dannenröder Forsts vertreten.

Sabine Offhaus: Ich war nie politisch aktiv und gehöre auch keiner Partei an. Auch bin ich in keiner Bürgerinitiative oder Interessengruppe im Zusammenhang mit dem Dannenröder Forst oder der A49. Ich sehe mich als vollkommen neutralen Beobachter. Das Thema Autobahnneubau habe ich seit Jahren mit mäßigem Interesse verfolgt – bis es dann in meinen Augen doch überraschend und plötzlich losging. Als Vogelsbergerin spreche ich mich für den Lückenschluss aus, aber obwohl ich mich als Befürworterin der A49 in die Diskussionen eingebracht habe, ist durch die Bewegung im Dannenröder Forst bei mir persönlich jüngst ein Prozess in Gang gekommen, der auch bei mir ein "Weiter so" unmöglich macht.

Pro Wald: Noch vor etwa drei Wochen hatten wir eine Kontroverse hier auf Pro Wald, die dazu geführt hat, dass Sie gesperrt wurden. Bitte schildern Sie den Sachverhalt aus Ihrer Sicht.

Sabine Offhaus: Ich habe mich sehr für die „Pro Wald“-Seite interessiert und insbesondere die Interviews mit den Aktivisten aufmerksam gelesen. Innerhalb einer regen Diskussion in den Kommentarspalten klinkte auch ich mich über die von Aktivisten ausgehende Gewalt ein, indem ich diese als „RAF-Methoden“ bezeichnete. Ich wurde selbstredend verwarnt und gebeten diese Formulierung zu ändern oder zu löschen. Darauf habe ich mit einer blöden, beleidigenden Kurzschlussreaktion reagiert, da ich durch die ständigen Presseartikel und Aktionen der Waldbesetzung sehr gepusht und sehr verärgert war. Die folgende Sperre war absolut gerechtfertigt. Heute tut mir das sehr leid.

Pro Wald: Wir danken Ihnen, dass Sie sich entschuldigt und Ihre Ansichten sowie Ihr Verhalten reflektiert haben. Wie gut kennen Sie die Situation vor Ort im Dannenröder Forst sowie die Anliegen der Anwohner?

Sabine Offhaus: Ich wohne 18 Kilometer Luftlinie südöstlich von Dannenrod entfernt in Feldatal. Durch Presseberichte bin ich vor gut einem Jahr auf die Besetzung des Forstes aufmerksam geworden. Im vergangenen Sommer war ich zum ersten Mal während der Waldbesetzung dort und dann immer mal wieder an den Sonntagen, um mir selbst ein Bild zu machen.

Pro Wald: Wie haben Sie vor gut einem Jahr, als die Waldbesetzung begonnen hat, die Stimmung in der Bevölkerung wahrgenommen – war sie tatsächlich fast „geschlossen“ für den Ausbau der A49 und gegen den Erhalt der drei Wälder Dannenröder Forst, Maulbacher Wald und Herrenwald, wie dies immer wieder zu lesen ist?

Sabine Offhaus: Das Thema A49 begleitet uns ja bekannterweise schon seit einigen Jahrzehnten. Immer wieder war von verschiedenen Trassenführungen, Klagen, Protesten und Baustopps zu lesen. Irgendwann habe ich es gar nicht mehr verfolgt, bis die Proteste durch die Schutzgemeinschaft Gleental wieder aufflammten und natürlich dann mit der Waldbesetzung im Oktober 2019. Zunächst haben sich die Anwohner entlang der B3 für den Autobahnbau stark gemacht. Wir im Landkreis Vogelsbergkreis, der seinen Widerstand erst 2005 aufgegeben hat, erhoffen uns von dieser neuen Autobahn, dass die A5 und insbesondere die Anwohner Alsfelds und entlang der B62 entlastet werden. Eine etwaige Gewerbeansiedlung in Homberg könnte dem Vogelsberg wirtschaftliche Standortvorteile bringen. Das sind vergleichsweise wenige direkt betroffene Menschen, viele Vogelsberger haben keinen persönlichen Nutzen oder Vorteil durch den Lückenschluss und dürften daher eher neutral eingestellt gewesen sein, achten aber das Ergebnis eines demokratische Prozesses, der zu diesem Beschluss geführt hat. Das ist auch mein Beweggrund, mich für die A49 zu positionieren.

Pro Wald: Wenn Sie sonntags im Dannenröder Forst waren, haben Sie da an den politischen Waldspaziergängen der Autobahngegner teilgenommen?

Sabine Offhaus: Ich habe mich nie diesen politischen Waldspaziergängen angeschlossen, sondern bin dort meist allein oder mit meinem Lebensgefährten zusammen unterwegs gewesen. Ich wollte mir ein eigenes Bild von der Besetzung machen, jedoch natürlich auch von dem Wald, von dem ja in der Öffentlichkeit berichtet wurde, als sei er der einzige Dauermischwald Hessens.

Pro Wald: Wie haben Sie die Waldbesetzer:innen dabei wahrgenommen?

Sabine Offhaus: Ich lebe schon mein ganzes Leben im Vogelsbergkreis. Ich wandere sehr oft und kenne unseren Kreis dadurch sehr gut. Eine Besetzung im Wald habe ich bis dahin nie erlebt, daher wollte ich mir die Baumhäuser und Strukturen dort einmal ansehen. Bei unserem ersten Besuch schon schienen wir nicht so willkommen, und einige Besetzer, die gerade an Baumhäusern bauten, beobachteten uns argwöhnisch. Auf dem Rückweg stießen wir dann auf eine Sprecherin des Aktionsbündnisses „Wald statt Asphalt“, die eine Rede hielt. Ihre Sprache war für meinen Geschmack sehr aggressiv und ich hatte ein beklemmendes Gefühl. Je öfter wir dann im Dannenröder Forst unterwegs waren, desto aufgeladener zeigte sich die Stimmung. Die Waldwege waren in Abständen mit aufgetürmten Barrikaden, teils aus Sperrmüll und Holz und tiefen Gräben versehen. Mit Beton verfüllte Altreifen dienten der Stabilisation verschiedenster Strukturen. Plakate, Banner mit zahlreichen Zeichen und Schriften säumten die Wege. Es gab viele friedliche und freundliche Menschen dort, jedoch auch sehr viele Menschen, die aggressive Parolen in Richtung Polizei brüllten. Mich haben diese Bilder und Szenarien immer wieder sehr aufgewühlt.
 

Pro Wald: Hat sich das Verhältnis zwischen der Bevölkerung des Vogelsbergkreises und Waldbesetzer:innen im Verlauf der Waldbesetzung verändert?

Sabine Offhaus: Ganz am Anfang, als die Aktivisten in den Wald zogen, wurde ihnen noch Respekt gezollt für ihr Tun und ihr Engagement. Doch mit den zunehmenden Aktionen wurden die Einheimischen im Vogelsbergkreis immer ärgerlicher. Die Ablehnung bezog sich mehr auf die Aktivisten als darauf, den Dannenröder Forst erhalten zu wollen. Die Autobahn interessiert hier nicht wirklich, doch darum muss es gehen! Ob wir unsere Wälder durch solch fragwürdige Projekte weiter zerstören. Das Verhältnis zwischen den direkten Anwohnern, etwa in Dannenrod, und den Aktivisten war übrigens von Beginn an deutlich besser und blieb auch während der Besetzung gut.

Pro Wald: Wie hat es sich geäußert, dass die Bevölkerung im Vogelsberg den Aktivisten zu Beginn „Respekt gezollt“ hat, und warum ist die Stimmung umgeschlagen?

Sabine Offhaus: Dadurch dass es die Protestbewegung gegen die A49 schon seit dem Ende der 1970er-Jahre gibt, denen wohl auch schon damals etliche direkte Anwohner angehörten, gab es zu Beginn der Besetzung eine merkliche Unterstützung für die Aktivisten – insbesondere in den Anliegerorten Hombergs, wo die Eingriffe in Landschaft und Natur ja besonders groß sind. In verschiedenen Facebook-Gruppen wurden etwa Listen geteilt, was die Aktivisten benötigen, und diese Gegenstände haben die Vogelsberger dann auch besorgt und zur Verfügung gestellt. Es hat mich damals schon nachdenklich gemacht, dass auch Beton, Plastikplanen und Autobatterien darunter waren, also Dinge, die in einen Wald meiner Meinung nach nichts zu suchen haben. Mich persönlich hat entrüstet, dass Waldwege und Hochsitze zerstört wurden und dass es im Sommer Feuerstellen mitten im Wald gab. Mit den ersten beschädigten Polizeifahrzeugen und besonders den Autobahn-Abseilaktionen ist die Stimmung dann spürbar zu Ungunsten der Aktivisten gekippt.

Pro Wald: Welche weiteren Aktionen der Waldbesetzer:innen haben Sie als besonders fragwürdig empfunden?

Sabine Offhaus:
Nachdem die Baugesellschaft zusammen mit dem Waldbesitzer die Wirtschaftswege wieder in Ordnung bringen wollte, wurden zum ersten Mal Polizeikräfte zur Unterstützung angefordert. Da war von gespannten Drahtseilen quer über einen Weg in Kopfhöhe einer Polizeireiterstaffel die Rede.

Wegen des anfänglichen Übernachtungsverbotes in den Protestcamps wurde über Nacht die B62 blockiert, worüber einige Vogelsberger sehr verärgert waren. Dann hörte ich von 70 lackierten Autos in Gießen, die für die Bäume im Forst brennen sollten. Auch immer wieder für Unmut sorgten die Demos "am Kreisel" mitten in Homberg/Ohm, die den Verkehr mitten in der Stadt lahmlegten. Ebenso die Traverse quer über die B62 bei Lehrbach, wodurch diese mehrere Tage gesperrt wurde. Ganz besonders gestört haben mich aber die verschiedenen Brandstiftungen: einmal einer Asphaltier-Maschine der Firma Strabag, die am Bau der A49 beteiligt ist, des Weiteren an einer Vogelsberger Firma, die forstwirtschaftliches Gerät zur Verfügung stellte, und dann der Bagger eines Schotter-Lieferanten im Homberger Stadtteil Nieder-Ofleiden. Die Angriffe auf Polizeibeamte mittels Pyrotechnik und Fäkalien zeugen für mich ebenso wenig von friedlichen Protesten, und was mich auch sehr geärgert hat, ist, dass neben dem Bahnhofsgelände in Stadtallendorf überall Schriftzüge hinterlassen wurden. Selbst an den Spielgeräten auf dem Dannenröder Kinderspielplatz.

Pro Wald: Haben Sie sich durch die Protestaktionen auch persönlich beeinträchtigt gefühlt?

Sabine Offhaus: Bei der Abseilaktion an der A5 in Alsfeld, Pfefferhöhe, war ich selbst betroffen. Ich musste, um einen Termin in Alsfeld wahrnehmen zu können, einen langen Umweg in Kauf nehmen, und dann war ganz Alsfeld dicht. Das ärgert schon sehr, wenn ich da in etwas eingezogen ist, für das ich persönlich nichts kann.

Pro Wald: Einige der Dinge, die Sie den Aktivisten zur Last legen, sind Mutmaßungen: die 70 Autos in Gießen etwa, die angeblich angezündet werden sollten. Fakt ist, dass die Gemeinschaft der Waldbesetzer:innen in der öffentlichen Wahrnehmung und insbesondere auch in der lokalen und überregionalen Presse erschienen die Waldbesetzer:innen zunehmend in einem schlechten Licht dargestellt wurde. Von eingesetzter „Pyrotechnik“ etwa war dort oft Rede, wenn es um Bengalos ging, die wenige Waldbesetzer:innen in den Hände hielten, sie also nicht geworfen haben. Ein Video kursierte, in dem Rauch zu sehen und laute Detonationen zu hören waren, auf Facebook machte sodann der Begriff „kriegsähnliche Zustände“ die Runde, obwohl kein Polizist verletzt wurde. Sie selbst verwendeten den Begriff „terroristische Handlungen“, dabei wurde niemand entführt, erpresst, erschossen oder schwer verletzt, was man normalerweise mit dem Begriff „Terrorismus“ verbindet. Wir erklären Sie sich diese sprachliche Eskalation?

Sabine Offhaus: Man muss sich zunächst immer in die Menschen hier hineinversetzen, wie wir hier leben. Aus welchen Quellen erfahren wir hier von den Aktionen? Die Stimmung verschärft hat sich maßgeblich nach einem im Internet verbreiteten Aufruf des Aktionsbündnis Keine A49, das im August 2020 auch auf den Online-Ausgaben klassischer Medien verbreitet wurde. Die Slogans, die die Menschen dabei skandierten, hatten teilweise überhaupt nichts mit dem Bau der Autobahn oder den Waldrodungen zu tun. Das waren nicht nur Aufrufe zu zivilem Ungehorsam zu vernehmen, sondern auch Drohungen. In verschiedenen Presseerklärungen teilten Aktivisten in einer sehr aggressiven Sprache sinngemäß mit: "Überlegt Euch gut, ob Ihr Euch mit uns anlegen wollt!“ Bei meinen Wanderungen im Wald hatte ich schon immer Bammel; die Sprechchöre gegenüber Polizeibeamten und auch einzelne beleidigende und provozierende Handlungen gegenüber den Polizisten waren schon krass mitzuerleben. In Bezug auf die Pyrotechnikangriffe: Ich habe ein Video gesehen, in dem sehr wohl Feuerwerksraketen auf eine Gruppe von Polizisten geworfen wurde.

Pro Wald: Wenn Sie von „aggressiven Presseerklärungen der Aktivisten" sprechen, bezweifle ich, dass es sich tatsächlich um an die Presse adressierte Mitteilungen gehandelt hat. Zweifelhaft ist auch, dass diese Publikationen tatsächlich für die Gesamtheit oder auch nur eine Mehrheit der Aktivist:innen im Wald gesprochen haben. Könnte die als negativ empfundene öffentliche Wahrnehmung der Waldbesetzer:innen nicht sehr wesentlich der Tatsache geschuldet sein, dass diese im Gegensatz zur Polizei noch nicht einmal im Ansatz eine professionelle Pressearbeit geleistet haben? Und dass es die Darstellungen in den Polizei-Pressemeldungen daher immer wieder 1:1 in die Massenmedien geschafft haben, ohne dass dabei - wie es ansonsten im Qualitätsjournalismus üblich ich - auch die Sicht der Gegenseite dargestellt wurde?

Sabine Offhaus: Ich gehe schon davon aus, dass der Besetzung darum ging, dies alles so auch der Öffentlichkeit mitzuteilen. Entsprechende Pressevertreter wurden dazu ja eingeladen und konnten auch selbst Fragen stellen.

Pro Wald: Mein Eindruck ist eher, dass es sich bei derartigen Videos um Selbstdarstellungen und Eigenwerbung einzelner Interessengruppen innerhalb der Waldbesetzer:innen-Gemeinschaft gehandelt hat, die Partialinteressen verfolgen und diese ohne Plazet der Waldbesetzer:innen in die Öffentlichkeit gestreut haben.

Sabine Offhaus: Das ist gut möglich. Rückblickend auf den Verlauf betrachtet, glaube ich, dem Kommunikationsdesaster etwas auf den Grund gekommen zu sein, und meine Beobachtungen lassen dieselben Schlussfolgerungen zu: Aus der hiesigen älteren Protestbewegung, der es vornehmlich darum ging, die Wald- und Wiesenflächen zu schützen und die A49 zugunsten anderer Verkehrskonzepte zu vermeiden, strömten plötzlich Massen an verschiedenen Gruppierungen wie Ende Gelände, Extinction Rebellion etc. hinzu. Diese hatten teilweise ganz andere Beweggründe und verfolgten andere, lautere Protestformen "im Stil von Hambi [Hambacher Forst, d. V.]". Da war hier schon klar, was auf uns zukommen könnte.

Pro Wald: Mit welchen Folgen?

Sabine Offhaus: Die Bewegung war fortan nicht mehr so homogen, wie sie sich darstellen wollte, und die Außenwirkung bestätigte das, unabhängig von den Pressemitteilungen der Polizei. Zu Gewaltaktionen aus ihren Reihen haben sich die Aktivisten öffentlich nicht geäußert, offenbar weil sie die Verantwortung dafür an „autonome Aktionsgruppen“ auslagern wollten. Zu diesem Chaos kamen dann tagtäglich neue Meldungen und Äußerungen, die die ganze Bewegung in ein schlechtes Licht rückten.

Pro Wald: Welche Äußerungen meinen Sie konkret?

Sabine Offhaus: In dem erwähnten Videoaufruf vom August vergangenen Jahres heißt es: „Teile diesen Aufruf, und gemeinsam machen die Räumung zum Desaster“. Einzelne vermummte Aktivisten äußerten sich darin mit Aussagen wie: „Kämpfe mit uns für einen Systemwechsel!“ und „Für die Interessen des Kapitals will die verdammte Regierung einen Wald zerstören“ oder „Wir bleiben der Risikofaktor in einem kapitalistischen Patriarchat“. Zahlreiche Aktivisten aus ganz Europa sagen in ihrer jeweiligen Landessprache: „Ich werde den Wald verteidigen - was tust Du?“ Wie soll DAS bitte bei den Menschen im Vogelsberg ankommen?

Pro Wald: Wie ist es denn dort angekommen?

Sabine Offhaus: Gar nicht, zumindest nicht wohlwollend, die Aktivisten in diesen Videos haben einfach nicht unsere Sprache gesprochen, und damit meine ich nicht unsere Landessprache. Diese Aufrufe haben vielleicht Menschen aus den Großstädten erreicht, aber nicht die Menschen hier vor Ort. Die haben dann die Kennzeichen der vielen PKW in und um Dannenrod gesehen: J, HH, B, GÖ – und dachten: „Da bleibe ich lieber weg.“

Pro Wald: Sie sagten, dass sich Waldschützer nach außen als homogene Gruppe dargestellt haben, dass es sich jedoch tatsächlich um eine sehr heterogene Gruppe handele. Worauf stützen Sie diese Behauptung?

Sabine Offhaus: Es gab diese fragwürdigen Aktionen, die ich bereits genannt habe: Abseilaktionen von Autobahnen etwa, Kot und Feuerwerkskörper, die auf Polizisten geworfen wurden, Einsatz- und Waldfahrzeuge, die mutwillig beschädigt wurden. Aus den Reihen der Waldaktivisten habe ich bislang nie gehört, dass sich jemand öffentlich davon distanziert, stattdessen herrscht in der Schweigen und die Rede von „Solidarität“ und „Wir lassen uns nicht spalten“. So entsteht der Eindruck einer homogenen Gruppe. Dass dieser falsch ist, weiß ich aus meinem persönlichen Umfeld: Ich kenne eine große WG in Gießen, in der mehr als die Hälfte der Bewohner im Dannenröder Forst aktiv ist. Sie alle distanzieren sich im kleinen Kreis von diesen Aktionen, wollen diese jedoch nicht verurteilen, schon gar nicht in der Öffentlichkeit, weil sie meinen, diese "Bevormundung" stünde ihnen nicht zu.

Pro Wald: Auf Pro Wald haben wir dieses Phänomen, das ein Zeichen struktureller Gewalt innerhalb der Waldbesetzer:innen-Gemeinschaft sein kann, zuletzt in mehreren Beiträgen aufgegriffen.

Sabine Offhaus: Richtig, das habe ich mit großem Interesse verfolgt. Ich habe festgestellt, dass der Großteil der Bewegung nicht bereit sind hinzusehen, was sie falsch gemacht hat – selbst dann nicht, von sie von anderen Waldschützern mit der Nase darauf gestoßen wird. Stattdessen greifen Sie wütend diejenigen an, die den Hinweis gegeben haben. Damit verprellen sie Menschen, die sie vielleicht hätten gewinnen können. Ich war erschrocken über die Reaktionen in den Kommentarspalten etwa auf das sehr fundierte und ausgewogene Interview, das Pro Wald mit Adrian Oertli geführt hat und das Widersprüche im Selbstverständnis der Aktivisten und ihrer Außendarstellung nachvollziehbar darlegt. Obwohl Sie, Herr Oertli und Pro Wald sich ausdrücklich für den Erhalt der Wälder stark gemacht haben, wurde anschließend dumpf auf Sie eingeprügelt, auf eine genauso vernichtende Art und Weise wie dies bislang nur "wir" Befürworter der A49 erfahren haben.

In der Tat sehen wir bei Pro Wald es kritisch, wenn sich Waldaktivist:innen und deren Unterstützer:innen nicht konsequent von Gewalt distanzieren, weil ansonsten die Aktivist:innen im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen, statt der Schutz der Wälder.

Sabine Offhaus:
Genau das sehe ich auch so: Worum geht es den Aktivisten überhaupt in erster Linie? Geht es ihnen darum, dass der Dannenröder Forst nicht abgeholzt wird? Oder um die Verkehrswende – ausgerechnet hier im Vogelsberg, dem dünnbesiedelsten Landkreis Hessens? Oder um den Klimawandel? Oder den Klimaschutz? Oder dienen die Proteste in erster Linie dazu, ihren Hass auf den Staat und auf die Polizei zum Ausdruck zu bringen? Es ist eine sehr undifferenzierte Gemengelage. Wenn ich im Wald war, ertönten ewig diese Sprechchöre gegen die Polizei: "Ihr seid nur gutbezahlte Hooligans" oder "Tout le monde deteste la Police". Da halte ich mir doch lieber die Ohren zu und verhalte mich unauffällig, aber trage das auf keinen Fall mit.

Pro Wald: Warum wundert Sie es, dass sich Menschen im Vogelsberg - ob nur angereist oder heimisch - für die Verkehrswende stark machen, wenn dort eine seit 40 Jahren entbehrliche Autobahn mitten durch drei Wälder geführt werden soll?

Sabine Offhaus: Zuerst einmal ist der Begriff: "Verkehrswende" etwas, über das ich mir zuvor nie Gedanken gemacht habe. In einem Landkreis, der beinahe ausnahmslos aus kleinen Örtchen wie Dannenrod besteht, in welchen meist keine Läden mehr bestehen, wo zunehmend Ortskerne verfallen, die Mehrheit der steuerpflichtigen Arbeitnehmer mittlerweile in benachbarte Kreise oder weiter täglich pendeln müssen, der ÖPNV eher stetig eingeschränkt denn ausgeweitet wird, ist der Gedanke absurd, auf ein Auto verzichten zu sollen.

Pro Wald: Um Verzicht aufs Auto ging es ja nicht im Kern, sondern darum, dass keine neue Autobahn gebaut und dafür Wälder abgeholzt werden. Können Sie diesen Wunsch der jungen Menschen nicht nachvollziehen, die angesichts der Klimakrise Angst um ihre Zukunft haben?

Sabine Offhaus: Die Aktivisten haben auch explizit dazu gefordert, Autofahrten zu vermeiden. Die A49 soll dem Kreis wirtschaftliche Perspektiven eröffnen, sieht man sich etwa Mücke und Alsfeld mit seinen Gewerbegebieten an der A5 an, weiß man, auf welche Weise das geschehen soll. Um das nun wieder in Relation zu den Flächen und Wäldern zu bringen, die der A49 weichen müssen, sehe ich schon auch einen hohen Preis, den wir dafür zahlen müssen. Angesichts des Zustandes unserer Wälder ist der Waldschutz unser aller Anliegen, nicht nur der jungen Menschen.

Pro Wald: Sie machen einen zwiegespaltenen Eindruck auf mich: Einerseits sagen Sie, dass Sie den A49-Ausbau wollen, andererseits fürchten Sie die Folgen des Klimawandels. Aus welchem Grund haben Sie sich für die Schneise durch den Dannenröder Forst positioniert?

Sabine Offhaus: Ich bin beruflich selbst Pendler in den benachbarten Landkreis Marburg-Biedenkopf, fahre oft auch über die B62 und bekomme natürlich mit, was das für die Anwohner bedeutet. Plausibel erscheint mir auch der wirtschaftliche Gedanke für den Vogelsbergkreis durch den Anschluss der A49. Es ist jedoch keinesfalls so, dass mich die Aktivisten nicht auch erreicht haben. Ich habe mich über diese Bewegung sehr mit dem Thema Klimawandel beschäftigt und wie ich selbst etwas in meinem Leben verändern kann, um aktiv mitzuhelfen oder zu wirken.

Pro Wald: Bislang hat der Waldschutz fast immer den Kürzeren gezogen, wenn es um Infrastrukturprojekte ging. Im Bundesverkehrswegeplan sind viele weiteren Autobahn-Ausbauten und sogar einige Neubauten bis 2030 in Deutschland vorgesehen. Glauben Sie, dass dies heute vor dem Hintergrund des Klimawandels noch der richtige Weg ist?

Sabine Offhaus: Das Thema Mobilität ist komplex und auch im Wandel. Der Schutz des Waldes sollte zukünftig schon allein aufgrund seines katastrophalen Zustandes Vorrang vor allen weiteren geplanten Infrastrukturprojekten haben.

Pro Wald: Sie sagten im Vorgespräch sinngemäß, dass mindestens die Hälfte der hiesigen Bevölkerung hätte für den Schutz des Dannenröder Forsts gewonnen werden können, da die Vogelsberger ausgesprochene Naturliebhaber seien. Auf welche Weise hätte dies geschehen müssen?

Sabine Offhaus: Es gab zunächst einmal ein großes Informationsdefizit in der Bevölkerung. Ich habe den Eindruck, dass – abgesehen von den direkten Anwohnern – die Bevölkerung des Vogelsbergkreises die Streckenführung überhaupt nicht genau kannte. Sie scheint sich nicht damit auseinandergesetzt zu haben, wie viel Wald tatsächlich für die A49 einschließlich der Zufahrtswege gerodet werden muss. Vielleicht hätte man auf diesen Umstand weiträumiger aufmerksam machen müssen.

Pro Wald: In welcher Weise?

Sabine Offhaus: Es gab ja Proteste und schon seit vielen Jahren verschiedene Bündnisse wie „Schutz des Ohmtals“, „Schwalm ohne Autobahn“ und die „Schutzgemeinschaft Gleental“, deren Proteste jedoch immer nur die unmittelbaren Anlieger erreichten. Dabei sind an diesem Autobahnprojekt drei Landkreise involviert. Eine viel umfassendere Information über die Anlieger hinaus, eine stärkere Vernetzung und eine koordiniertere Öffentlichkeitsarbeit hätte möglicherweise zu einer deutlich höheren Bürgerbeteiligung geführt.

Pro Wald: Man mag die Art und Weise kritisieren, aber festzuhalten ist, dass die Aktivist:innen seit Oktober 2019 massiv und insbesondere in der Region unüberhörbar auf den genauen Streckenverlauf und die daraus folgenden Eingriffe in die Wälder hingewiesen haben. Ist es angesichts der dramatischen Klimasituation nicht schade, dass so viele Vogelsberger:innen bei den Protesten nicht mitgezogen haben, nur weil ihnen Sprechchöre, Plakate und einige umstrittene Aktionen der Waldbesetzer:innen nicht gepasst haben?

Sabine Offhaus: Ich bezweifle stark, dass den Vogelsbergern die Ausmaße der Rodung überhaupt bewusst waren, auch nachdem die Waldbesetzungen begonnen haben. Die Waldbesetzer haben sich einer Sprache und Ausdrucksweise bedient, die die einheimische Bevölkerung nicht angesprochen hat, wodurch sie nicht erreicht wurde. In persönlichen Gesprächen fiel schon immer die Aussage: „Es ist schade um den Wald!“ Allerdings meist gefolgt von der der Aussage, dass die demokratischen Entscheidungen für den Bau der A49 respektiert werden müssten. Schlussendlich waren aber tatsächlich die fragwürdigen Aktionen der Besetzer oder Aktivisten schuld, dass sich die Menschen hier gegen die Aktivisten stellten – und gar nicht mal so sehr gegen die Autobahn.

Pro Wald: Mit Ausnahme der unmittelbaren Anwohner, die direkt von den Rodungsarbeiten betroffen sind.

Sabine Offhaus: Ich muss dazu sagen, dass ich mich sehr mit der Thematik beschäftigt habe, weitaus mehr als viele hier sicherlich. Bei der Wanderung der kompletten Trasse ab Ohmtaldreieck bis Stadtallendorf konnte ich eine Vorstellung davon gewinnen, wie groß auch die Angst der Einwohner von Maulbach, Appenrod und Dannenrod vor dem Verkehrslärm und weiteren Belastungen ist. Daher haben sich sicherlich viele den Protesten angeschlossen. Jedoch sprechen sich selbst sehr viele Homberger wiederum für die Autobahn aus.

Pro Wald: Wie wollen Sie sich beim Waldschutz einbringen?

Sabine Offhaus: Bei den Ausgleichsmaßnahmen. Natürlich wirken die Aufforstungen an anderer Stelle angesichts der großen Proteste und auch angesichts des schlechten Zustandes unserer Wälder beschämend. Im Zusammenhang mit den immer wieder kursierenden Fotos von vertrockneten Setzlingen im Dannenröder Forst, verbreitet von Aktivisten, habe ich mir diese Maßnahmen der Deges [der Ausbau der A49 läuft unter der Federführung der 1991 gegründete Projektmanagementgesellschaft Deutsche Einheit Fernstraßenplanungs- und -bau GmbH, kurz Deges] angesehen. Die Aufforstung am Geiersberg bei Stadtallendorf zeigt ein überaus erfreuliches Bild, soweit ich das beurteilen kann, zumindest kann dort keine Rede von vertrockneten Setzlingen sein. Auch im Dannenröder Forst habe ich eine Fläche von Setzlingen gesehen und fotografiert, in deren Schutzkörben immerhin etwa sieben von zehn Setzlingen gut gediehen. Die Deges ist verpflichtet, diese Flächen fünf Jahre lang zu pflegen und dort nachzubessern, wo es nötig ist.

Pro Wald: Und da wollen Sie nun mithelfen?

Sabine Offhaus: Nein, die Deges werde ich nicht unterstützen. Aber ich habe über meine persönliche Recherche über den Zustand unserer Wälder, angeregt durch die Waldbesetzung und durch die Besichtigung der Ausgleichsmaßnahmen für mich etwas gefunden, wo ich aktiv beim Waldschutz mitagieren kann: bei Wiederaufforstungsmaßnahmen. Viele Initiativen, Vereine und auch die Forstämter wünschen sich genau dort viel mehr Unterstützung aus der Bevölkerung. Seit gestern bin ich Mitglied beim „Klimafairein Oberhessen e.V.“, dessen erklärtes Ziel es ist, bis 2030 eine Million Bäume zu pflanzen. Ich werde mich dort nicht nur finanziell, sondern auch aktiv einbringen.

Pro Wald: Betrachten Sie es als eine gute und nachhaltige Lösung, gesunde Bäume für Baumaßnahmen großflächig zu roden und dafür an anderer Stelle aufzuforsten?

Sabine Offhaus: Nein, selbstverständlich nicht. Bestehende Wälder müssen erhalten bleiben. Jedoch gibt es ja selbst in Bestandswäldern überall große Lücken, die auch schon vor der Dürre und dem Borkenkäferbefall durch Stürme und Orkane entstanden sind. Und es gibt auch überall schon mehrjährige Wiederaufforstungen in den Wäldern. Ich habe bei meinen Streifzügen durch unsere heimischen Wälder davon auch Aufnahmen gemacht, es entstehen sehr viele Laubmischflächen. Und trotz alledem: Die Trockenheit ist im Vogelsberg dramatisch. Ich habe im vergangenen Sommer einige Quellen gesucht, etwa der Ohm, Antrifft, Lauter und Nidda. Viele waren komplett ausgetrocknet.

Pro Wald: Die Wiederaufforstung in geschädigten Wäldern wird gerade massiv zurückgefahren. In diese Lücken will die Bundesregierung - etwa im Reinhardswald - nun verstärkt Windräder aufstellen. Nach dem Motto: Was eh schon kaputt ist, braucht man nicht mehr zu fällen. Was denken Sie darüber?

Sabine Offhaus: Das ist einfach die Krux: Energiewende voranbringen oder weiter Wald opfern? Was ich von Versiegelungen und Bauprojekten in Wäldern halte? Nichts, denn es handelt sich um massive Eingriffe in Ökosysteme! Ich bin kein Windkraftgegner, jedoch sollte auch hier der Wald tabu sein. Auch bei uns passiert das Gleiche. Es werden weiterhin Windkraftanlagen in den Wäldern geplant und gebaut.

Pro Wald: Wie kann es gelingen, dass Umweltschützer egal welchen Alters und egal welche sonstigen politischen Einstellungen sie haben, künftig an einem Strang ziehen, um die Wälder zu retten? Oder ist dies angesichts übergeordneter politischer Partikularinteressen gar nicht möglich?

Sabine Offhaus: Die Menschen müssten pausenlos in jeder Zeitung, im TV und in Onlinemedien wie insbesondere auch Pro Wald auf die immer gravierenderen Folgen des Klimawandels aufmerksam gemacht werden. Praktisch schon morgens mit der Tasse Kaffee zum Nachdenken über das eigene Verhalten und mögliches Verändern und Mitwirken gebracht werden. Umweltschützer müssen sich stärker vernetzen und so zum Mitmachen auffordern. Genau so, wie Pro Wald das macht.

Pro Wald: Halten Sie auch Proteste für sinnvoll, oder sollten wir uns darauf verlassen, dass die politischen Entscheidungsträger:innen doch noch die Bedeutung der Wälder erkennen?

Sabine Offhaus: Doch, Proteste sind sinnvoll! Sie müssen jedoch über die Region hinaus verbreitet werden. Und das Ganze nicht aggressiv und ideologisch , sondern sachlich und informativ, die Konsequenzen und Lösungen aufzeigend - und vor allem friedlich! Ich denke, dass dann auch die Politik insgesamt nicht mehr umhinkommt, sich in Zukunft noch intensiver mit Waldschutz auseinanderzusetzen und entsprechend zu handeln.

Veröffentlicht am 17. Januar 2021


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