Zum Hauptinhalt springen

Kommentar: "Hört auf, den Waldschutz politisch zu instrumentalisieren!"

2. Teil der Interview-Reihe: Stimmen in den Dannenröder Forst

Rums! Vor vier Tagen haben wir das Interview "Nehmt die Masken ab und zeigt Euer Gesicht" zum Thema strukturelle Gewalt in der Waldbesetzer:innen-Gemeinschaft im Dannenröder Forst veröffentlicht – und sofort begann eine Schlammschlacht in den Kommentaren. „Schlacht“ mag martialisch klingen, doch dieser Begriff trifft es sehr genau. Die wütenden Attacken hatten zwei Ziele: unseren angeblich „völlig ahnungslosen“, „frauenfeindlichen“, „sexistischen“, „mediengeilen“, „egomanischen“, „nicht gruppenfähigen“ und „sich selbst inszenierenden“ Gesprächspartner Adrian Oertli. Und unsere Seite „Pro Wald“, die ihm ohne zuvor dessen „umstrittene“ Vita zu prüfen eine Plattform verschafft habe und deshalb „schlimmer als die Bildzeitung“ sei, da sie „ekelhaften Rechtspopulismus“ oder gar „Nazi-Propaganda“ betreibe, um damit zu versuchen, „die Linke“ zu diskreditieren und zu spalten.

Aus Facebook-Gruppen wie „Dannenröder Wald bleibt“, „Hambi bleibt“ oder „Schützt den Hambi und die Natur“ ist Pro Wald umgehend ausgeschlossen worden, ohne dass ich darüber informiert wurde und ohne dass mir die Gründe mitgeteilt wurden. Geschweige denn, dass Pro Wald die Möglichkeit eingeräumt wurde, zu den Vorwürfen (welche eigentlich?) Stellung zu nehmen. Dabei war Pro Wald bis zu diesem Interview noch gefeierter „Rising Star“ in diesen Facebook-Gruppen – das ist eine Auszeichnung für besonders beliebte und erfolgreiche Neueinsteiger. Unsere Seite gibt es erst seit gut einem Monat und nahezu alle bisherigen dort geteilten Beiträge haben sehr große Reichweiten und sehr positive Resonanzen hervorgerufen. Nun heißt unser neues, informelles Abzeichen offenbar „Querfront“ – ein Begriff, den ich bis gestern nicht kannte.

Hass auf die Polizei

Warum diese Empörung und dieser Absturz in der Gunst der Kommentator:innen, von denen die allermeisten übrigens vorher nicht auf unserer Seite aktiv waren, sondern als Empörungstourist:innen eigens virtuell angereist sind, um mit viel Testosteron im Blut Dampf abzulassen? Im Interview hatte Adrian Oertli – der einst im Schwarzen Block aktiv war, sich später vom Linksextremismus abgewendet, sich als Psychotherapeut eine bürgerliche Existenz aufgebaut hat und heute als Experte im "Radicalisation Awareness Network" der EU mitwirkt – seine Befürchtung geäußert, dass die Waldbesetzer-Gemeinschaft linksextremistisch unterwandert werden könnte.

Die Quintessenz: Die Aktivisten wünschen sich so sehr ein hierarchiefreies und solidarisches Utopia, dass sie nicht gewappnet seien für erwartbare linksextremistische Bestrebungen, die Gemeinschaft für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. Dadurch bestehe die Gefahr, dass sich unter den Aktivisti zunächst die Bereitschaft zur Gewalt ausbreite. Da das Ziele der Linksextremen darin bestehe, unsere rechtsstaatliche Gemeinschaft – also unseren Staat – zu bekämpfen und zu zerstören, könnten insbesondere die Polizei zu Zielscheiben werden. Zumal diese – und das ist meine eigene Anmerkung – durch einige stark übergriffige Aktionen während der Räumung auch selbst einen Teil zum Hass auf sie beigetragen hat.

Nur Liebe in der Gemeinschaft?

Oertli behauptete keinesfalls, dass es extremistische Unterwanderung bereits gäbe, sondern lediglich, dass eine solche Entwicklung möglich sei, sofern sich die Waldbesetzergemeinschaft nicht mit einer Strategie gegen anarchistische oder sozialistische Infiltration zu Wehr setze. Er gab auf Grundlage seiner professionellen und persönlichen Erfahrung konkrete Empfehlungen, was die Waldbesetzerinnen dagegen tun können. Neben ganz wenig positivem Feedback (vielen Dank!) war allenfalls ein Bruchteil der Kommentator:innen überhaupt bereit, sich inhaltlich mit den eigentlich auf der Hand liegenden Kernfragen auseinander zu setzen: Wie groß ist der Anteil und Einfluss derer in der Waldgemeinschaft, die propagieren, dass Waldschutz nur in Kombination mit Sozialismus oder Anarchie gelingen kann? Bis zu welchem Grad sind die Aktivisti bereit, Gewaltakte zu akzeptieren oder sogar umzusetzen, um den Wald zu schützen? Und wie viel versteckte, strukturelle Gewalt herrscht in der Gemeinschaft der Waldbesetzer?

Das sind essenzielle Fragen, die die Aktivisti unter sich klären müssen, um ihren Anspruch an ihre Gemeinschaft mit der Realität ihres Zusammenleben abzugleichen. Sie sind ebenfalls sehr wichtig, um zu klären, inwieweit Zusammenarbeit mit älteren Umweltschützern oder solchen mit anderen politischen Vorstellungen möglich ist. Dafür, dass Selbstansicht und neutrale Außenansicht nicht völlig zusammenpassen, gibt es ganz konkrete Anzeichen. Im YouTube-Video „Die Freiheit, die wir hier erlebten – leben im Dannenröder Forst“ etwa erklärt der junge Dokumentarfilmer „Bewegungsgärtner“, wie er und die anderen Aktivisten ihre Gemeinschaft selbst wahrnehmen: „Der Umgang untereinander ist (…) besonders. Generell wird versucht, keinem anderen Menschen etwas aufzuzwingen und seine Mitmenschen möglichst respektvoll zu behandeln. (…) Alleine schaffen wir es nicht, ist einer der Grundsätze der Bewegung. Daher werden Entscheidungen generell im Konsens getroffen. Das bedeutet: Alle Personen, die die Entscheidung betrifft, stimmen zu oder tragen Entscheidungen trotz Bedenken mit. Ansonsten muss so lange weitergesprochen werden, bis eine bessere Lösung gefunden ist.“

Autonomes Handeln statt Konsens

Klingt schön, aber die Realität sieht anders aus: Aus meinem Gespräch mit dem Aktivistenpaar „Monday“ und „Tonks“, das ich fast zeitgleich mit Adrian Oertli geführt habe, weiß ich, dass etwa die Abseilaktion von Autobahnbrücken auch unter den Waldbesetzern erstens nicht im Plenum der Aktivisti abgestimmt wurde und zweitens auch keinen Konsens gefunden hätte, da sie auch innerhalb der Aktivisten umstritten war. Obwohl sie nicht nur Teil der Gemeinschaft sind, sondern auch als Mitglied im Presseteam genau informiert sein sollten, haben meine beiden Interviewpartner von den Abseilaktionen erst erfahren, als die Aktivisten bereits über der A5 baumelten. Wo war da im Vorfeld die gemeinsame Debatte, wo war der Konsens bei einer Aktion, die angesichts des zu erwartenden – und dann auch tatsächlich eingetretenen – desaströsen Medienechos jedes einzelne Mitglied der Gemeinschaft betraf und bis heute betrifft?

Ohne die Hintergründe dieses Beispiels zu kennen, sagt Oertli im Interview, dass in vermeintlich hierarchiefreien Systemen neben dem strategischen Vorgehen auch „illegale Aktionen in hierarchisch organisierten Geheimzirkeln geplant“ würden. Das wären mit Blick auf den Dannenröder Forst die so genannten „autonomen Aktionsgruppen“ – also eine Art Exekutive, die offensichtlich die Befugnis hat, ohne Mandat der Gemeinschaft nach außen hin völlig frei nach eigenem Ermessen zu handeln. Aus seiner eigenen Erfahrung berichtet Oertli, dass sich jeder, der Aktionen von informellen Hierarchen hinterher in Frage stelle, dem Vorwurf ausgesetzt sehe, nicht gruppenfähig zu sein, was zu Mobbing bis hin zum Ausschluss führen könne. Die Hemmung, mir gegenüber auch nur die leiseste Kritik zu üben, war bei all meinen Gesprächspartner:innen spürbar.

Tatsächlich habe es laut Tonks und Monday offensichtlich hinterher in Gesprächsrunden interne Kritik an den Abseilaktionen gegeben, jedoch hat es nach dem schweren Auffahr-Unfall auf der A3 bei Limburg keine zwei Wochen gedauert, bis sich eine ähnliche Aktion wiederholt hat. Diese Tatsachen passt nicht mit dem nach außen vertretenen schönen Bild vom respektvollen, konsensualen Umgang miteinander zusammen. Die Diskrepanz zwischen der idealisierten Sicht von Menschen auf ihre Gemeinschaft, verbunden mit dem Ausblenden vorhandener informeller Hierarchien und struktureller Gewalt sei ein Kennzeichen, das ihm aus Sekten bekannt sei, so Oertli im Interview – wofür er reichlich verbale Prügel in den Kommentaren bekam, da der Begriff „Sekte“ sehr negativ konnotiert ist und sich im allgemeinen Sprachgebrauch nicht auf politische Gemeinschaften bezieht. Aber ist diese Befürchtung, dass es zumindest dazu kommen könnte, sofern die Aktivistengemeinschaft nicht von sich aus gegensteuert, wirklich so abwegig – und ist es gar „rechte Propaganda“?

Neue Stimmen und Blickwinkel in den gesellschaftlichen Diskurs

Für die weit überwiegende Mehrheit der Kommentatoren sowie die Administratoren einiger vermeintlicher Wald- und Klimaschutzgruppen offensichtlich schon. So sehr, dass sie Pro Wald direkt gesperrt haben. Es ist schon eigenartig, dass wir diesen völlig substanzlosen Vorwurf, wir würden Nazi-Positionen vertreten, überhaupt dementieren müssen, tuen es aber trotzdem: Das tun wir nicht. Tatsächlich betreiben wir ein journalistisches Angebot, das nicht pro rechts, aber auch nicht pro links oder pro Mitte ist – wir sind einzig und allein Pro Wald. Wir betrachten uns als Online-Medium, das wichtige Stimmen und neue Blickwinkel zum Waldschutz nach professionellen Maßstäben für eine große Öffentlichkeit so aufbereitet, dass diese im öffentlichen Diskurs wahrgenommen werden. Wir wissen, dass wir damit immer wieder angeeckt sind und weiterhin anecken werden – machen es aber trotzdem, weil es ein Zeichen für guten Journalismus ist, nicht wohlgefällig zu sein, sondern ungemütlich und Distanz zu allen Seiten zu wahren.

So haben wir bislang fünf Aktivisten aus dem Danni in ausführlichen, auch kritischen Interviews zu Wort kommen lassen und noch dazu Statements von sieben „Danni-Eltern“, deren erwachsene Kinder im Dannenröder Forst aktiv sind, veröffentlicht. Weil diese Blickwinkel bislang im öffentlichen Diskurs gefehlt haben, aber essenziell sind, um die jungen Menschen und ihre Beweggründe zu verstehen. Aus diesem Grund bekamen wir Anfeindungen bislang aus dem genau entgegengesetzten politischen Meinungsspektrum - und nun eben auch von Linksaußen. Was veranlasst Menschen zu einer solchen Sichtweise und zu solchen Redaktionen auf ein Interview, das ich auch nach der x-ten Lektüre beim besten Willen nicht als aggressiv, frauenfeindlich oder diffamierend empfinde? Es hat einige Tage gedauert, bis mir der Grund bewusst wurde, doch jetzt bin ich mir sicher – und öffne hiermit meine Flanke für die nächste Wutwelle:

Extremismus will Waldschutz kapern

Die im Interview vorsichtig angedeutete linksextremistische Unterwanderung der Waldaktivisten im Dannenröder und auch im Hambacher Forst hat defacto bereits stattgefunden. Einigen Menschen, die abwertend kommentiert haben, und den Admins, die Pro Wald aus den vermeintlichen Waldschutz-Gruppen entfernt haben, geht es gar nicht darum, sich schützend vor die Umweltaktivisten im Wald zu stellen, da diese ja auch gar nicht angegriffen wurden. Sie vermuten, dass ihre eigene Ideologie angegriffen wurde – und schlagen nun mit der altbekannten Taktik zurück, sein Gegenüber zu diskreditieren.

Aber ist es denn nicht völlig egal, ob Linksextremisten die Waldbesetzungen unterwandern, wenn es doch um die gute Sache geht? Aus Sicht des Waldes kann die Antwort nur lauten: Nein! Denn dem Linksextremismus war der Waldschutz bis vor wenigen Jahren völlig egal, und das ist er ihm auch heute noch. Sein Ziel ist gerade nicht der Schutz des Waldes, sondern der Sturz unseres freiheitlich demokratischen Staatswesens. Daher hämmern seine Anhänger den jungen Menschen im Dannenröder Forst ein, dass der Schutz der Wälder erst möglich sei, wenn zuvor das „System“ im Sinne von Sozialismus oder Anarchie überwunden sei. Dass nun der Danni gerodet wurde, ist insbesondere für die meist sehr jungen Umweltschützer, die eine besondere emotionale Bindung zu ihm allgemein und sogar zu einzelnen Bäumen aufgebaut haben, eine Katastrophe. Für die Agitatoren der extremistischen Linken ist dies hingegen ein Glücksfall, da dies in ihrer Lesart nur bestätigt, dass der Staat zerstört gehört und sie mit noch größerem Zulauf rechnen können.

Schützt Euer Utopia!

Ehe jetzt Jubel von rechtsaußen und anderen politischen Lagern aufbrandet: Der Rechtsradikalismus geht in gleicher Manier vor, allerdings nicht im Dannenröder Forst, weil es dort ja um gute Straßen für das gute Auto und freie Fahrt für freie Bürger geht. Den Danni zu fällen, findet die AfD genauso toll wie die hessische FDP. Dafür aber versucht die AfD gerade, sich zum Entsetzen der ansässigen Bürgerinitiative als Schutzengel für den Reinhardswald in Stellung zu bringen, getreu dem Motto „blau ist das neue Grün“. Und zwar selbstverständlich nicht deshalb, weil sie plötzlich doch noch ihre Liebe zum deutschen Baum entdeckt hat, sondern weil sie damit ihre Abneigung gegen die erneuerbaren Energien zum Ausdruck bringen will. Im Reinhardswald geht es um massive Eingriffe, um dort schon bald Dutzende gigantische Windräder zu installieren (wir werden bald ausführlich berichten).

Für die Parteien der Mitte inklusive den Grünen (sofern in Regierungsverantwortung) sind Wälder meist dann zweiter Sieger, wenn wirtschaftliche Interessen oder dem Wunsch nach eigenem Machterhalt deren Schutz entgegen steht. Dass neben Straßen auch Windräder in den kommenden Jahren in einem gigantischen Ausmaß in Wälder gebaut werden, statt dass unser Konsumverhalten endlich ernsthaft in Frage gestellt wird und ohne dass Alternativen erwogen werden, ist ein Desaster für die Wälder und die Biodiversität.

Der Wald wird auch heute noch von allen bekannten politischen Lagern missbraucht, um ihre eigenen Ziele zu erreichen, die nichts mit dem Waldschutz zu tun haben. Bislang bekennt sich keine relevante Partei dazu, dass „unsere“ - sie gehören nicht uns, sondern der Natur – Wälder tabu sind. Wir alle, nicht nur die jungen Aktivistinnen und Aktivisten im Dannenröder Forst, müssen aufpassen, dass wir uns nicht vor einen politischen Karren spannen lassen, der ein ganz anderes Ziel als den Waldschutz hat. Liebe Aktivisti, Euer Utopia ist wunderschön – schützt es auch von innen!

-----

Meinungsbeitrag von Ingo Fischer, der sich auf das vier Tage zuvor, am 4. Januar 2021 veröffentlichte Interview mit Adrian Oertli "Nehmt die Masken ab und zeigt Euer Gesicht!" samt zugehöriger Kommentare auf Facebook bezieht.


Veröffentlicht am 8. Januar 2021


Mehr "In den Danni"

Kommentar: "Hört auf, den Waldschutz politisch zu instrumentalisieren!"
Sabine Offhaus: "Die Aktivisten haben einfach nicht unsere Sprache gesprochen"
Adrian Oertli: "Nehmt die Masken ab und zeigt Euer Gesicht!"
Zurück zur Übersichtsseite "Dannenröder Forst"