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Altdorfer Wald: Kies statt Klimaschutz

In der vergangenen Eiszeit schufen Gletscher hier "Drumlins", Mönche bauten jahrhundertelang an einem weit verzweigten Kanalnetz mit bis heute herausragender Wasserqualität, und Räuberhauptmann „Schwarzer Veri“ trieb so lange sein Unwesen, bis ihn buchstäblich der Blitz traf: In den 9.000 Jahren seines Bestehens hat der in der Nähe des Bodensees gelegene Altdorfer Wald schon viel erlebt. Seine besondere Gesteinsformation ist für ihn jedoch nicht nur Segen, sondern auch Fluch, da sich mit seinen "Bodenschätzen" viel Geld verdienen lässt. Für zwei vor rund 50 Jahren mitten im Wald erbaute Kiesgruben wurden nach und nach bis heute 400.000 Quadratmeter Wald zerstört. Doch damit nicht genug: Jetzt soll der Tagebau in diesen Gruben nicht nur weiter ausgebaut, sondern eine dritte Grube neu erschlossen werden. Im Dauerkonflikt Wirtschaft vs. Natur scheint der Wald trotz zahlreicher Proteste in der Bevölkerung wieder einmal den Kürzeren zu ziehen, denn die Planungen sind weit fortgeschritten. Bereits im Herbst könnten auf einer Gesamt-Rodungsfläche von weiteren 600.000 Quadratmetern die ersten Bäume fallen. Seit 25. Februar besetzen Aktivist:innen des Ravensburger Klimacamps ein bedrohtes Waldgebiet nach dem Vorbild der Proteste im Dannenröder Forst.

Alexander Knor vom „Verein Natur- und Kulturlandschaft Altdorfer Wald“ stellt in Kooperation mit Pro Wald seinen Heimatforst, das umstrittene Bauvorhaben sowie das Engagement für Landschaftsschutzgebiete in unserem „Steckbrief bedrohter Wälder“ vor.



Wie heißt der bedrohte Wald?

Altdorfer Wald

Wo befindet er sich?

Im südlichen Baden-Württemberg, in der Region Oberschwaben, wenige Kilometer östlich von Ravensburg und etwa 30 Kilometer vom Bodensee entfernt.

Wie groß ist der Wald?

Der Altdorfer Wald ist mit 83 Quadratkilometern (entspricht 8.300 Hektar bzw. 83 Millionen Quadratmeter) die größte zusammenhängende Waldfläche in Oberschwaben und nach dem Schwarzwald das größte zusammenhängende Waldgebiet in Baden-Württemberg. In den 1960er Jahren sind bereits 40 Hektar Waldfläche gerodet worden, und im aktuellen Plan sollen die Bäume auf weiteren 60 Hektar Fläche fallen.

Um was für eine Art Wald handelt es sich?

Es handelt sich um einen Mischwald mit starkem Fichtenanteil, der forstwirtschaftlich intensiv genutzt wird. Es gibt auch Waldflächen hohem Laubanteil, darunter auch Buchenwälder. Ein Teil ist Bannwald nach bayerischem Schlag.

Wie alt ist er?

Der Altdorfer Wald hat eine sehr lange Geschichte. Er ist nach der letzten Eiszeit vor rund 9.000 Jahren entstanden. In historischen Karten ist erkennbar, dass seine Waldgrenzen um das Jahr 1700 noch nahezu identisch mit den heutigen sind. Es gibt Abschnitte mit alten Bäumen, aber durch die Forstwirtschaft erneuert sich der Bestand natürlich regelmäßig.

Welche Historien sind mit ihm verbunden?

Der Altdorfer Wald war Lebensraum des bekanntesten Räubers in Oberschwaben, dem Schwarzen Veri, der mit bürgerlichem Xaver Hohenleiter hieß und 1819 angekettet bei einem Blitzeinschlag in seinen Gefängnisturm getötet wurde.

Auch gibt es hier das größte nicht von den Römern angelegte Wasser- und Kanalsystem im nördlichen Europa: den Stillen Bach. Benediktinermönche des Klosters Weingarten haben ihn in einem Zeitraum von mehr als 500 Jahren zwischen dem 11. und 17. Jahrhundert erschaffen. Weingarten hieß früher Altdorf und ist bis heute Namensgeber für den Wald.

In der Zeit der Industrialisierung entwickelte sich die Papiermacherindustrie rund um den Altdorfer Wald in Mochenwangen, Baienfurt und Wolfegg. In diesem Zuge wurden im Kreis Ravensburg begünstigt durch die Höhendifferenz die ersten Wasserkraftwerke gebaut.

An historischen Bauwerken sticht die im 12. Jahrhundert entstandene Waldburg auf einer der höchsten Erhebungen im Altdorfer Wald hervor. Unter Kaiser Friedrich II. wurden dort von 1220 bis mindestens 1240 die Reichskleinodien aufbewahrt. Die Heilige Lanze, die Reichskrone, das Reichsschwert, das Reichszepter und der Reichsapfel sind heute als Repliken in den Räumen der Burg ausgestellt.

Wie ist der aktuelle Zustand des Altdorfer Waldes?

Wegen seines Standortes in der noch relativ niederschlagsreichen Voralpenregion steht der Altdorfer Wald wesentlich besser da als andere Wälder. Durch seine interne Höhendifferenz von knapp 400 Metern, das Alpenvorland, die Nähe zum Bodensee und seine außergewöhnlich vielen Teiche, Seen und Flüsse – der Landkreis Ravensburg verfügt deutschlandweit über die zweitgrößte Gewässermenge – ist er noch in einem befriedigenden bis gutem Zustand. Doch selbst im Altdorfer Wald sind bereits deutliche Schäden durch die Dürre der vergangenen Sommer und den Borkenkäferbefall erkennbar.

Was sind seine Besonderheiten?

Der Altdorfer Wald ist eine bewaldete Mittelgebirgslandschaft zwischen 440 und knapp 800 Höhenmetern. Seine Besonderheit sind sein Alter sowie der „Waldburger Rücken“, einer nahezu einmaligen geologische Formation, die sich vor tausenden Jahren zwischen zwei Gletscherzungen gebildet hat. Rund um Vogt und Waldburg finden sich Drumlins – kleine längliche Hügel mit tropfenförmigen Grundriss, die durch Gletscherbewegungen in der Eiszeit entstanden sind. Der Altdorfer Wald verfügt über enge Täler und Schluchten wie den Schussentobel und den Wolfegger Achtobel, die sich bis zu 100 Meter tief in Moränen und Schotter einschneiden.

Es gibt im Altdorfer Wald viele Flora-Fauna-Habitat- (FFH) Naturschutz- und Landschaftsschutzgebiete. Etwa ein Drittel der Waldfläche steht unter Schutz, darunter auch Moorwälder sowie kleine, intakte Hochmoore, die versteckt im Wald liegen. An Pflanzen sind Frauenschuh, Hainsimsen- und Waldmeister-Buchenwälder heimisch sowie Eschen und Weiden in Moor- und Auenwäldern. Besondere Tiere sind Kammmolche, Steinkrebse, Fledermäuse und Wildschnecke.

Warum ist der Wald aktuell bedroht?

Die Gletscher hinterließen in Oberschwaben, auch im Altdorfer Wald, sehr viel Kies und Sand. Das sind sehr nachgefragte Baustoffe in der heutigen Zeit, die sich kommerziell nutzen lassen. Da sich 80 Prozent des Waldes in öffentlicher Hand befinden, bietet es sich an, diese „Bodenschätze“ abzubauen. Seit etwa 60 Jahren gibt es bereits zwei große Kiesgruben im Altdorfer Wald. Im neuen Regionalplan sollen nicht nur diese beiden bestehenden Gruben erheblich erweitert werden, sondern zusätzlich eine neue Grube bei Vogt-Grund entstehen.

Teilweise handelt es sich dabei um Waldbereiche, die bislang explizit als Ausschlussgebiete für Abbau eingestuft sind und nun über Nacht offensichtlich auf Druck einer der größten Kiesunternehmen in Baden-Württemberg, der Firma Meichle und Mohr, zu Vorranggebieten auserkoren wurden. Die Grube bei Grund liegt dabei in einem Wassereinzugsgebiet der Quellen von Weißenbronnen, deren Trinkwasser ist von einmaliger Qualität ist. Es muss weder nachbehandelt noch bestrahlt werden und fließt auch noch durch Eigenkraft bis in die angeschlossenen Gemeinden Baienfurt und Baindt. Dieses riesige Quellgebiet könnte bis zu 80.000 Menschen im Schussental mit Trinkwasser versorgen.

Ebenso ist diese Grube mitten im Höhenzug Waldburger Rücken, der dabei ebenfalls abgetragen werden soll. Renommierte Geologen warnen davor, hier zu graben, da durch die besondere geologische Form eine eventuelle Verunreinigung nicht auszuschließen ist. Außerdem sind die bestehenden Wasserschutzgebiete zu klein ausgelegt: Die Schüttmenge wurde früher nie gemessen, sondern „so ungefähr“ eingestuft.

Der Altdorfer Wald ist außerdem das größte Naherholungsgebiet der Region mit rund 200.000 Einwohnern, Sauerstofflieferant und Klimaschützer. Er speichert Wasser und sorgt dank seiner Waldfunktionen für den dringend erforderlichen Luftaustausch im Kessel Schussental mit Ravensburg und Weingarten. Jegliche weitere Zerschneidung des Waldes gilt es daher zu vermeiden. Die Kiesabbauflächen würden mit den bisherigen und den geplanten zusammen rund 100 Hektar umbaute Fläche ergeben, was einer Million Quadratmetern entspricht, die nicht mehr die bisherigen Waldfunktionen erfüllen könnten. Rein auf die Gesamtfläche gesehen handelt es sich zwar um eine eher kleine Fläche – die sich jedoch an neuralgischen Punkten für die Trinkwasserversorgungen von Baienfurt, Baindt, Schlier, Vogt, Waldburg sowie bis Ravensburg und Weingarten befindet.

Was würden die geplanten baulichen Eingriffe für den Wald, die Tiere, die Natur und die Menschen bedeuten?

Die Gruben-Erweiterungen sowie die zusätzliche Grube bedeuten zunächst einmal einen weiterer Zerschnitt einer zusammenhängenden Waldfläche, den Verlust von Wasserspeicher, CO2-Speicher und Sauerstoffspender. Zudem birgt es eine nicht kalkulierbare Gefahr für Trinkwasserquellen, den Verlust von Erholungsflächen sowie die Gefahr für vorhandene Schutzflächen, da diese nicht weit genug entfernt von den Abbauflächen liegen.

Was sind die Argumente der Befürworter der baulichen Eingriffe

Die Befürworter argumentieren, dass die Rohstoffe dringend benötigt würden, da es ansonsten zu einer Verknappung von Kies und Sand käme. Die Eingriffe schädigten den Wald angeblich nicht und alles geschehe im rechtlichen Rahmen.

Welche Argumente sprechen dagegen?

Die Berechnung, wie viel Kies für den heimischen Markt benötigt wird, gehen von falschen Einwohnerentwicklungen aus. Fakt ist, dass bereits heute – ohne die beantragten neuen bzw. erweiterten Gruben – bis zu 15 Prozent des im Altdorfer Waldes abgebauten Kies und Sandes nach Österreich und in die Schweiz exportiert werden, obwohl es dort natürlich ebenfalls reichlich Vorkommen gibt. Nur sind dort die Umweltauflagen höher – für dort abgebauten Kies ist etwa eine Umweltabgabe fällig – sodass sich die Einfuhr der finanziell günstigeren Rohstoffe aus Deutschland trotz einer zurückzulegenden Wegstrecke von fast 100 Kilometern lohnt.

Wie ist der Stand der Planungen?

Der Regionalplan, der die Grubenerweiterungen und den Neubau vorsieht, ist bereits in der zweiten Offenlegung. Er soll laut Regionalverband Bodensee-Oberschwaben (RVBO) etwa im Mai 2021 abgeschlossen werden. Danach stünde die Genehmigung durch das baden-württembergische Wirtschaftsministerium an, ehe der Landkreis die Abbaugenehmigung erteilt und mit den Rodungen begonnen werden könnte. Ohne Klagen könnten die Harvester im Spätherbst auflaufen.

Welche Bündnisse, Bürgerinitiativen, Umweltverbände etc. engagieren sich für den Erhalt des Waldes?

Hier gibt es neben dem „Verein Natur- und Kulturlandschaft Altdorfer Wald“, dem ich angehöre, auch die Bürgerinitiative Grenis, die sich gegen das Kieswerk engagiert. Sieben von acht Anliegergemeinden unterstützen unsere Forderung mittels Gemeinderatsbeschluss, den Altdorfer Wald zu einem Landschaftsschutzgebiet (LSG) zu machen. Eine Onlinepetition, die bis Juni 2020 lief, unterzeichneten mehr als 13.100 Menschen - es war eine der größten Petition im Landkreis Ravensburg. Der Petitionsausschuss des Landtags hat sich anschließend zwar damit beschäftigt, fühlte sich jedoch nicht zuständig und verwies auf das baden-württembergische Wirtschaftsministerium. Der BUND Naturschutz und der Naturschutzbund Deutschland (Nabu) sind gegen einen Abbau. Auch Fridays for Future und die Parents for Future unterstützen die Forderungen nach einem vernünftigen, ausgewogenen und nachhaltigen Regionalplan, genauso wie das Aktionsbündnis Regionalplan4Future, zu dem sich rund 25 Vereine und Initiativen zusammengeschlossen haben.

Am 25. Februar haben Aktivist:innen des Ravensburger Klimacamps den Altdorfer Wald bestzt. Die Waldbesetzung will sich an Protesten im Dannenröder Forst orientieren.

Welche Möglichkeiten sehen Sie, die drohenden Rodungen noch zu verhindern?

Das Wirtschaftsministerium, das Umweltministerium sowie das Staatsministerium in Baden-Württemberg fühlen sich ebenso wenig zuständig wie das Regierungspräsidium in Tübingen. Alle verweisen auf das Landratsamt in Ravensburg. Hier allein liegt die Entscheidung bei der unteren Naturschutzbehörde, ob ein Landschaftsschutzgebiet ausgewiesen wird, in dem der Kiesabbau verboten ist. Diese Behörde bearbeitet den Verwaltungsgang jedoch sehr schleppend und unmotiviert, selbst eine beantragte vorsorgliche Unterschutzstellung für zwei Jahre hat sie bislang abgelehnt. Es hat sich zu einem Politikum entwickelt. Ebenso wird immer auf den Regionalverband Bodensee-Oberschwaben (RVBO) verwiesen, der alles im rechtlichen Raum plane und vorschriftsmäßig abwiege. Ein LSG würde endlich den ganzen Wald sowie das Trinkwasser unter Schutz stellen. Trotzdem könnte der Wald weiter forstwirtschaftlich genutzt werden, und die Menschen könnten hier weiterhin Erholung finden.

Mit welche Mitteln können Leser und Leserinnen Sie dabei unterstützen?

Unterstützen könnt Ihr uns, indem Ihr Beiträge zum Thema wie auch diesen Waldsteckbrief etwa auf Facebook kommentiert, likt und vor allem teilt und auch unserer Facebookseite folgt. Menschen aus der Region bitten wir zudem, Leserbriefe an die Zeitungsredaktionen zu scheiben. Auch Anfragen und kritische Meinungsäußerungen an das Landratsamt Ravensburg, das Regierungspräsidium Tübingen und den Regionalverband Bodensee-Oberschwaben hinsichtlich des von uns angestrebten Landschaftsschutzgebiets Altdorfer Wald sind hilfreich. Und schließlich freuen wir uns natürlich über Spenden an unseren Verein.
 

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