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Finkenherd bei Celle: Nichts als vier verfluchte Fledermausbrücken

Jahrzehntelang hat sich Helga Habekost mit wenigen Mitstreiter:innen für den eine Million Quadratmeter kleinen Finkenherd im Osten der niedersächsischen 70.000-Einwohner-Stadt Celle engagiert. Nachdem Harvester bereits mehr als tausend Bäume für eine aus ihrer Sicht völlig unnötige Umgehungsstraße gerodet haben, hat sie den Kampf nun aufgegeben: „Ich hatte einige Bäume an der Trasse mit einem Herz markiert. Sie sind bereits gefällt.“ Was bleibt sind die Hoffnung, dass Umweltschützer:innen in anderen Regionen, in denen ebenfalls Wälder gefährdet sind, aus ihren Erfahrungen lernen können – und vier verfluchte Fledermausbrücken.
 

Wie heißt der bedrohte Wald?

Finkenherd. Der Name stammt aus dem späten 17. Jahrhundert, als dort Finken und andere kleine Vögel, die damals als Delikatesse am Celler Herzoghof galten, mit großen Netzen gefangen und anschließend gebraten wurden. Finkenherd ist zudem der Name eines historischen Ortes im sachsen-anhaltinischen Quedlinburg, wo Sachsenherzog Heinrich einst die Königskrone überreicht worden sein soll, sowie einer Grünanlage im nordhessischen Kassel. Um diese geht es hier jedoch nicht.

Wo befindet er sich?

Der Finkenherd befindet sich östlich von Celle zwischen den Vororten Lachtehausen und Altencelle, beidseitig der Kreisstraße 74. Celle wiederum liegt 30 Kilometer nordöstlich der niedersächsischen Landeshauptstadt Hannover.

Wie groß ist der Wald?

Etwas mehr als eine Million Quadratmeter (100 ha), davon sollen – zusammen mit einigen benachbarten Waldflächen – insgesamt 72.600 Quadratmeter abgeholzt werden. Die Rodungsarbeiten sind bereits im vollen Gange.

Um was für eine Art Wald handelt es sich?

Es handelt sich um Hochwald mit mindestens 70 Jahre alten Kiefern, teilweise mit Blaubeer- und Preiselbeer-Unterwuchs sowie Farn- und Blütenpflanzen.

Wie alt ist er, und wie ist seine Geschichte?

Der Wald ist insgesamt deutlich älter als die ältesten Bäume seines aktuellen Bestandes. Belegt ist, dass die Celler Herzöge dort bereits vor etwa 500 Jahren zwischen kleinen Hügeln Vögel gejagt haben.

Wie ist sein aktueller Zustand?

In den Wald wurden bereits zwei Schneisen geschlagen, um dort Zufahrtsstraßen für den Bau einer Aller-Brücke und eines "Autobahn-Kreuzes mit Fledermausbrücke" anzulegen. Der Zustand vor Beginn der Bauarbeiten war wegen der Trockenheit in den Jahren zuvor durchwachsen. Die Straßenplanung wird den gesamten Wald betreffen, der mittig durchschnitten wird: die Auswirkungen wie Fragmentierung, Lärm und Stickstoff-Einträge sind sehr weitreichend.

Was sind seine Besonderheiten?

Der Celler Finkenherd ist Vorranggebiet "Natur und Landschaft" und zugleich "Erholung". Er liegt auf einer Endmoränen-Düne, die sich zwischen die Auen der Flüsse Aller und Lachte geschoben hat. Bedingt durch die sehr unterschiedlichen Böden wachsen hier auf wenig Fläche unterschiedliche Pflanzen, Bäume und Sträucher. Auf engstem Raum kommen viele unterschiedliche Tiere vor wie etwa Otter, Libellen, Lurche und mit knapp 50 Arten eine besonders große Vogel-Vielfalt. Zudem haben mindestens zehn Fledermaus-Arten dort ihre Wochenstuben und Nahrungshabitate.

Warum ist der Finkenherd aktuell bedroht

Grund sind massive Rodungsmaßnahmen für der Ausbau der neuen Streckenführung der B3, östlich um Celle herum. Diese Bundesstraße war vor dem Bau der A 37 die einzige direkte Straßenverbindung zwischen Hannover und Hamburg und führte jahrzehntelang mitten durch die 70.000-Einwohner-Stadt hindurch. Aufgrund des früher sehr hohen Verkehrsaufkommens ist schon vor sieben Jahrzehnten der Wunsch nach einer Umgehungsstraße entstanden. Umgesetzt wird die Umgehung jedoch erst jetzt zu einem Zeitpunkt, an dem dies gar nicht mehr erforderlich ist: Die parallel zur B3 verlaufende Bundesautobahn A 37 leitet den Hauptverkehrsstrom zwischen Hannover und Hamburg längst ab.

Das noch bestehende Verkehrsaufkommen in den und aus dem östlichen Landkreis Celle wurde künstlich dadurch hochgerechnet, dass die bestehende Kreisstraße K74 durch den Bau der neuen Ortsumgehung entfallen soll und der bestehende Verkehr dem künftigen Bedarf aufgeschlagen wurde. Problematisch ist zudem die Streckenführung: Obwohl eine westliche Umgehung – sofern man diese denn unbedingt will – als zusätzliche Verknüpfung von Hannover, Celle und Hamburg deutlich kürzer und bereits zu 80 Prozent vorhanden wäre, wurde eine Ost-Trasse gewählt, die deutlich mehr Straßenbaumaßnahmen erfordert und die die Stadt künftig in einem Drei-Viertelkreis umrundet. Dies geht insbesondere auf Kosten des östlich vor den Toren von Celle gelegenen Finkenherds, der dadurch noch stärker fragmentiert und durchschnitten wird. Ausgerechnet der Streckenabschnitt durch den Finkenherd soll 2+2-spurig, also besonders breit, die übrigen Abschnitte lediglich 2+1-spurig gebaut werden.

Was würden die geplanten baulichen Eingriffe für den Wald, die Tiere, die Natur und die Menschen bedeuten?

Der Straßenbau bedeutet einen massiven Eingriff in das Ökosystem Finkenherd. Zusammen mit einem weiteren kleinen ursprünglich-gebliebenen Wäldchen, dem Matthieshagen, sollen insgesamt 72.600 Quadratmeter Waldflächen gerodet werden. Der verbleibende Wald wird zudem durchtrennt, also „fragmentiert“, sodass die Lebensräume von Tieren wie Fuchs, Reh, Hase und Fasan aber auch wandernde Otter und Biber, Libellen, Zauneidechsen, Wildbienen und geschützte Vogelarten abgeschnitten werden. Der Genaustausch - und somit der Fortbestand dieser Tiere - wird dadurch massiv erschwert. Außerdem werden die vier Celler Vororte Altencelle, Lachtehausen, Altenhagen und Vorwerk durch die Ostumgehungs-Trasse abgeschnitten und weitere Flächen versiegelt, was bei einer westlichen Ortsumgehung nicht erforderlich gewesen wäre. Im Vorfeld des Straßenbaus wurden schließlich Überreste von Celles Vorgängerstadt „Tsellis“ gefunden. Bewilligt wurde jedoch nur eine archäologischen Notgrabung, sodass die archäologische Fundstätte jetzt überbaut und zerstört wird.

Was sind die Argumente der Befürworter der baulichen Eingriffe?

Befürworter des Bauprojekts sagen, dass Celle eine Ost-Umgehungsstraße brauche und dass die Ausgleichsmaßnahmen ausreichend seien, um die ökologischen Schäden zu kompensieren.

Welche Argumente sprechen dagegen

Eine der wenigen sinnvollen „Ausgleichsmaßnahmen“ ist tatsächlich, den Finkenherd verstärkt mit Laubbäumen zu durchmischen, doch dies hätte ohne weiteres auch ohne diese Baumaßnahme geschehen können. Im Westen besteht bereits eine mögliche Ortsumgehung, der lediglich zwei Kilometer fehlen, um die B3 um den Stadtkern herumzuführen. Zwar haben Klagen des BUND-Landesverbandes Niedersachsen bewirkt, dass viele Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen für den Naturschutz durchgeführt werden müssen, wie etwa vier Fledermausbrücken an verschiedenen Stellen. Das alles heilt aber absolut nicht das eigentliche Problem, sondern verschärft es sogar: Vier Meter hohe Zäune an der Straße, die die Fledermäuse retten sollen, werden viele andere Tierarten daran hindern, die künftige B3 zu überqueren, um zwischen den fragmentierten Waldbereichen zu wechseln. Der Grad der Fragmentierung ist also gestiegen.

Die Ausgleichspflanzungen werden zudem erst in Jahrzehnten zu neuen Waldflächen entwickelt sein, zumal diese zum Teil bis zu 13 Kilometer entfernt sind. Die Stadt hat mittlerweile bereits eine Erneuerung der Innenstadt-Allerbrücke mit zusätzlicher Fahrspur, eine zusätzliche Brücke über die Aller in Bahnhofsnähe und den Ausbau des Verkehrsknotenpunkts innerer Ring (Neumarkt) erhalten. Deshalb wäre der Dreiviertel-Kreis im Westen mit geringfügigen Ergänzungen ausreichend gewesen. Stattdessen sind jetzt im Osten die beiden Flora-Fauna-Habitat-Gebiete "Aller" und "Lachte" sowie drei Überschwemmungsgebiete betroffen. Es werden also nicht nur wertvolle Naturgebiete zerstört, sondern darüber hinaus auch mehr als 150 Millionen Euro Steuergelder für eine Ost-Umfahrung aus dem Fenster geworfen.

Wie ist der aktuelle Stand des Bauvorhabens?

Die Rodungen sind im vollen Gange. Mehr als 1.000 Bäume wurden bereits gefällt.

 

Welche Bündnisse, Bürgerinitiativen und Umweltverbände engagieren sich für den Erhalt dieses Waldes?

Gemeinsam mit anderen Bürger:innen hatte ich vor knapp 19 Jahren die Bürgerinitiative „Im-Interesse-Aller e.V.“ gegründet. Sie befindet sich aktuell in Auflösung, ich war die langjährige Vorsitzende dieses kleinen Vereins. Die BUND-Kreisgruppe-Celle hat sich – vertreten durch den BUND-Landesverband – mit Sachverstand und Geld jahrzehntelang gegen dieses Straßenbauvorhaben gestemmt. Leider ist das nun alles vorbei, und wir können der Naturzerstörung nur noch zusehen. Wir sind untröstlich und umwelt-traurig.

Welche Möglichkeiten sehen Sie, weitere Rodungen zu verhindern und den Finkenherd doch noch zu retten?

Keine mehr. Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt, doch jetzt ist sie tot wie Asphalt. Ich hatte einige Bäume am Rand der Kreisstraße 74 mit einem Herz markiert. Sie sind bereits gefällt.

Gibt es gar nichts Positives, das Sie aus Ihrem jahrzehntelangen Engagement mitnehmen können?

Wir hoffen, dass wenigstens Waldschützer in anderen Regionen – wie beispielsweise diejenigen, die sich in Rheinhessen für den Lennebergwald engagieren – etwas aus dem lernen können, was hier passiert ist: Die scheibchenweise Planung und Durchführung solcher Groß-Projekte ist immer nachteilig für den Naturschutz. Oft wirken sich die ersten Bauphasen noch nicht direkt negativ auf schützenswerte Naturflächen aus. Doch in diesen ersten Bauabschnitten werden die Fakten geschaffen, die sich in den nachfolgenden Bauphasen – wenn es wirklich ans Eingemachte geht – nicht mehr zurückdrehen lassen. Es gibt dann vielleicht noch ein paar Auflagen – hier im Finkenherd sind es etwa Fledermausbrücken, -zäune und -nistkästen – aber mit ihnen ist überhaupt nichts gewonnen, und wir Umweltschützer werden für unser Engagement sogar beschimpft oder verspottet. Es ist eine Katastrophe, was unserer Natur hier angetan wird.